Leise Kommt Der Tod
eindringliche Daguerreotypie eines jungen Mädchens platziert werden sollte, als Willem seinen Kopf zur Tür hereinsteckte, um nachzusehen, womit die beiden beschäftigt waren. Jedes Mal, wenn Sweeney ihn sah, musste sie unwillkürlich an ihr erstes Treffen zurückdenken. Damals war sie neu an der Universität
gewesen und hatte im Frühlingssemester ein Praktikum im Hapner Museum gemacht. Dort war sie Willem zugeteilt worden. Zu jener Zeit war er Kurator für die Kunst des Altertums gewesen und hatte Sweeney in diesem Zusammenhang Recherchen über einen ägyptischen Sarkophag durchführen lassen, der der Universität übergeben worden war. Sie war sehr nervös gewesen und voller Ehrfurcht vor dem gutaussehenden Mann, der auf dem Campus nicht nur für sein immenses Fachwissen bekannt war, sondern auch für seine kühle Art. Als er sie gefragt hatte: »Na, bist du schon drin gewesen?«, hatte sie zunächst nicht begriffen, dass er sich einen Scherz erlaubt hatte. Sie war schon beinahe ganz in einem der Steingefäße verschwunden, als er zu lachen anfing und sie erlöste.
Mittlerweile kam sie gut mit Willem zurecht, und sie wusste, dass er ihre Arbeit respektierte. Trotzdem fühlte sie sich manchmal in seiner Nähe wieder wie eine neunzehnjährige Studentin. Er war sechzig, groß und feingliedrig, mit perfekt geschnittenem grauen Haar und einem typischen Professorenschnurrbart. Wenn er nicht zu einem Meeting oder zu einer Veranstaltung musste, trug er stets einen grauen oder braunen Kaschmirpullover, Jeans und teure Sportschuhe.
»Sweeney, der Katalog ist toll geworden«, sagte er. »Ich bin sehr zufrieden.« Er hielt einen der in Karton gebundenen Kataloge in den Händen, der Titel der Ausstellung prangte über einer der Post-mortem-Fotografien. Sie hatten viele Diskussionen darüber geführt, ob es zu makaber wäre, ein derartiges Bild auf das Cover zu drucken, aber letztendlich hatte Sweeney sich durchgesetzt. Die Wirkung war überwältigend, wie sie jetzt feststellte: Das Bild konfrontierte den Betrachter mit der nüchternen Realität des Todes und drückte zugleich den Wunsch der Hinterbliebenen aus, dem Verblichenen ein Denkmal zu setzen - ein Wunsch, der zu jenem Trauerritual geführt hatte. Genau mit diesen Themen befasste sich Sweeneys Ausstellung, sie spannte den Bogen von den Grabbeigaben im alten
Ägypten bis hin zu den gegenwärtigen Gepflogenheiten, der Verstorbenen zu gedenken. Trauertattoos und Klebebilder auf Autos gehörten ebenso dazu wie zeitgenössischer Trauerschmuck.
Willem hielt den Katalog hoch. »Gute Arbeit. Ich wünschte, ich könnte dasselbe von ihr sagen.« Er drehte den Kopf in Richtung Korridor, und Sweeney wurde klar, dass er über Jeanne Ortiz sprach, eine Professorin für Fotografie und Frauenforschung. Sie plante für den Winter eine Ausstellung über die Darstellung von Frauen in der amerikanischen Fotografie. Sweeney mochte Jeanne und freute sich auf die Veranstaltung, aber sie wusste auch, dass Willem die Kollegin nicht ausstehen konnte und von ihren Ideen wenig überzeugt war. Als ihm zu Ohren gekommen war, dass Jeanne vorhatte, eine Reihe von Fotos aus den Zeitschriften Hustler und Penthouse mit in die Ausstellung aufzunehmen, war er tagelang aufgebracht gewesen.
Sweeney und Fred wechselten heimlich Blicke und hofften, dass Willem nicht damit fortfahren würde, Jeannes diverse Fehltritte aufzuzählen.
»Also ich muss los«, sagte Willem. »Tad hat einen Stapel Papiere für mich.« Tad Moran, Willems Assistent, bemühte sich unaufhörlich, Willem dazu zu bringen, sich hinzusetzen und diverse Dokumente zu unterschreiben. Willem dagegen zog es vor, seine Zeit damit zu verbringen, durch das Museum zu streifen.
»Bevor du gehst«, rief Sweeney ihm nach, wobei sie aufsprang und zu ihrem Arbeitstisch hinüberging, um die Akte über das Kollier herauszusuchen, »sieh dir mal das hier an. Dieses Stück hätte ich gerne für meine Ausstellung.« Sie streckte ihm die Papiere hin.
»Großartig«, antwortete Willem, schon ganz in Gedanken. »Ich habe gerade keine Zeit, aber zeig es doch mal Tad. Er soll alles arrangieren, dann werde ich es mir ansehen und meine
Meinung dazu äußern. Gutes Gelingen. Ich bin wirklich sehr zufrieden.«
Fred stand auf, als sich Willem zum Gehen wandte. »Hast du eine Minute für mich, Willem? Ich würde gerne die Potter-Jennings-Ausstellung mit dir besprechen. Das Buch erscheint im Dezember, und ich dachte mir...« Freds Biographie über den
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