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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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schrillt.
    «Grüß Sie, Frau Pawlitzky   …»
    Durch die geöffnete Eingangstür flutet das Wasser auf den Gang und spült die beiden Pantoffeln, gefolgt von einigen kleineren Wäschestücken, die Treppen hinunter. Zugleich strömt dem Lemming ein nicht enden wollender Wortschwall entgegen. Die Nachbarin. Plump und gedunsen, hysterisch, gehässig, laut, hässlich und dumm.
    «Ja, Frau Pawlitzky. Ich weiß, Frau Pawlitzky. Feuerwehr, natürlich. Ach, Sie haben schon   …»
    Er schließt die Tür, ohne das Ende ihres Sermons abzuwarten.
    Wenig später tritt er aus dem Haustor und strebt, einen hastiggepackten Koffer unter dem Arm, dem nächstgelegenen Taxistand entgegen. Er hat entschieden, dass seine Anwesenheit hier nicht mehr vonnöten ist. Die Feuerwehr wird, aufgemuntert durch Frau Pawlitzkys launige Kommentare, die Hauptleitung still- und sein sechzig Quadratmeter Mietaquarium trockenlegen. Um den Rest sollen sich der Hausbesitzer und die Herrschaften von der Versicherung kümmern. Er selbst ist entschlossen, noch ein wenig Schlaf zu finden. Es gilt, das Beste aus dieser Misere zu machen. Und das Beste ist, den nun schon drei Wochen lang schwelenden Streit mit Klara bei- und sich zu ihr zu legen.
    Klara also. Klara Breitner, die ständige Begleiterin seiner Gedanken und gelegentliche Gefährtin seiner Nächte. Etwas länger als ein Jahr liegt es jetzt zurück, dass er im Zuge einer blutigen Mörderjagd ihrem Hund Castro begegnet ist, einem Leonberger, dessen unerwartet soziabler Charakter die erschreckend monströsen Ausmaße seines zottigen Leibes Lügen strafte. Durch Castro wieder hat er Klara kennen gelernt. Auch bei ihr konnte der Lemming bald nicht umhin, einen gewissen Kontrast zwischen innen und außen festzustellen: So anmutig ihre Erscheinung auch war, ihr Herz schien raue Stellen aufzuweisen, kleine Verhärtungen hier und da, die so unvermittelt zutage traten, wie sie sich wieder verflüchtigten. Dass sich seine Zuneigung zu Klara mit dem beharrlichen Vorsatz verknüpfte, Güte und Verständnis aufzubringen, lieferte den Lemming ihren Launen hilflos aus. Der Gedanke, dass es gerade seine unablässige Duldsamkeit war, die Klaras Nerven strapazierte, kam ihm nicht. Stattdessen schob er die Schuld an ihrem gelegentlich ruppigen und abweisenden Verhalten auf die allgemeine Natur des weiblichen Wesens, das er von jeher als einzige Gefahrenzone ansah: ein wuchernder Dschungel, ein Dickicht, gewoben aus Fallstricken der Irrationalität, verborgen hinter Nebeln von Zartheit und Grazie,genährt von reißenden, alles verschlingenden Sturzbächen aus Östrogen. Unergründlich, ja, aber je unergründlicher Klara ihm war, desto stärker zog sie ihn in ihren Bann, und desto verbissener suchte er das Geheimnis in ihr. Sie selbst vertrat einen minder abenteuerlichen Standpunkt: Nach ihrer Meinung war der Lemming ganz einfach konfliktscheu und bisweilen unerträglich harmoniebedürftig.
    Dabei hatten sie damals keinen so schlechten Beginn; nach ein paar belanglosen Fehlzündungen sind sie halbwegs schwungvoll in die Startkurve ihrer Beziehung geschlittert. Aber schon auf der ersten Geraden erwartete sie eine üble Schikane: Des Lemming schlimmster Feind stand ihnen plötzlich im Weg, um sie am Punkt ihrer höchsten Beschleunigung brutal kollidieren und von der Strecke trudeln zu lassen. In einem Akt blinden Hasses hat Adolf Krotznig, seines Zeichens Polizeimajor und früherer Partner des Lemming, die beiden zutiefst gedemütigt und Klara zudem um ein Haar vergewaltigt. Wenn Krotznig auch am Ende seiner Strafe nicht entging, so gelang es ihm doch, das junge Glück schon im Ansatz zu schädigen. Krotznig – die bloße Erwähnung dieses Namens genügt, um den Puls des Lemming hochschnellen zu lassen: Ein beispielloser Zorn übermannt ihn dann, aber auch ein mehr als homöopathisches Quäntchen Angst vor der Grausamkeit dieses ledergepanzerten Schnurrbartflagellaten, dieses geistigen Koprolithen, dieser Güteklasse null auf zwei Beinen. Observieren und abservieren, das ist schon immer das Motto des Herrn Major gewesen: Wer trägt Schuld an der unehrenhaften Entlassung des Lemming aus der Kriminalpolizei? Wer hat ihn seinen Job im Detektivbüro Cerny und Cerny gekostet? Zusammen mit Schwarzafrikanern, Türken und Frauen aller Couleur ist es der Lemming, der von jeher ganz oben auf Krotznigs persönlicher Abschussliste steht.
    Nach einer längeren Phase der inneren Sammlung hat derLemming wieder zu arbeiten begonnen.

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