Lenas Tagebuch
von Leningrad erobert. 1941 eroberte Finnland diese Gebiete zurück, besetzte noch einige strategisch wichtige Punkte, griff aber nicht mehr weiter an. Damit schwanden die deutschen Chancen weiter, Leningrad in einem engen Ring einzuschließen. Das deutsche Kriegsziel einer Zerstörung Leningrads teilte Finnland nicht. Finnland sah das Bündnis mit Deutschland lediglich als Mittel zum Zweck der eigenen Existenzsicherung. Die finnische Führung wollte einen verschärften Konflikt mit den Westalliierten vermeiden und lediglich als begrenzter Waffengefährte des Deutschen Reiches erscheinen. Die finnische Luftwaffe bombardierte Leningrad während des Krieges nicht.
Ende September standen die deutschen Truppen damit an einer Frontlinie, die nie erklärtes Ziel einer Operation gewesen war. Über den Ladogasee besaß das ansonsten eingeschlossene Leningrad noch immer eine Anbindung an die Bahnlinie ins sowjetische Hinterland. Diese Bahnverbindung unterbrachen die deutschen Truppen am 9. November 1941 mit der Eroberung Tichwins rund 200 Kilometer östlich Leningrads. Die Einschließung der Stadt konnte nun als effektiv erreicht gelten.
Die Sowjetführung unter Stalin war angesichts des schnellen deutschen Vormarschs zunächst bereit gewesen, Leningrad aufzugeben, um eine Einkesselung ihrer Truppen zu vermeiden. Sobald jedoch klar wurde, dass die deutsche Führung Leningrad nicht zu erobern gedachte und Kräfte verlegte, befahlen Stalin und der Kommandeur der Leningrader Front den Gegenangriff. Allein im Winter 1941/42 unternahm die Rote Armee drei Offensiven, denen größere Erfolge zwar versagt blieben, als deren Ergebnis immerhin die vollständige Einkesselung Leningrads nach knapp einem Monat verhindert wurde. Tichwin wurde am 9. Dezember 1941 zurückerobert. Lena notiert dieses Ereignis in ihrem Tagebuch: »Hurra, hurra, unsere Truppen haben Tichwin zurückerobert, haben den Blockadering um Leningrad fast gesprengt.« Die Lebensmitteltransporte nach Leningrad waren in der Tat während der Besetzung Tichwins nahezu vollständig zum Erliegen gekommen, die Brotrationen erreichten ihren niedrigsten Stand.
1942 und 1943 scheiterten deutsche Versuche, den Blockadering enger zu ziehen und die Verbindung über den Ladogasee zu kappen. Die Kräfte reichten dafür nicht aus; bereits 1943 war die Wehrmacht vor Leningrad in der Defensive.
Wie die deutsche sah auch die sowjetische Führung in Leningrad einen Nebenkriegsschauplatz und räumte der Befreiung Leningrads im Jahre 1943 keine Priorität ein. Die heldenhafte Verteidigung der Stadt durch Rotarmisten und Werktätige war 1942 und 1943 ein wichtiges Propagandathema sowohl gegenüber den Alliierten als auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Der symbolische Erfolg einer Befreiung stand demgegenüber zurück. Die Zivilbevölkerung spielte in den Erwägungen eine nachgeordnete Rolle, das Militärische und Propagandistische hatte stets Vorrang.
So setzte die Rote Armee erst im Januar 1944 zum entscheidenden Angriff zur Befreiung Leningrads an. Die deutschen Truppen hatten ihr zu dieser Zeit nichts mehr entgegenzusetzen.
Blockadealltag
Das Ziel der Blockade waren die Zerstörung der Stadt und das Verhungernlassen ihrer Bewohner. Die Zerstörung sollte aus der Luft und mit Artillerie erfolgen. Die deutschen Stellungen waren allerdings so weit von der Stadt entfernt, dass nur die Fernkampfartillerie eingesetzt werden konnte. Auch die meisten Flugzeuge mussten die Belagerungskräfte an andere Fronten abgeben, sodass die Zerstörungen nicht das gewünschte Ausmaß erreichten. Lena Muchina hielt in ihrem Tagebuch einmal fest, der Artilleriebeschuss sei »gar nicht so schrecklich«. Beschossen und bombardiert wurden in erster Linie militärische Anlagen, Versorgungseinrichtungen der Stadt einschließlich ihrer Lebensmittelversorgung und auch die Versorgungsroute über den Ladogasee. Durch Beschuss und Bombardements kamen nach offiziellen sowjetischen Angaben 16 747 Menschen ums Leben; der Hunger forderte rund das Siebzigfache an Todesopfern.
Ausbrüche von Zivilisten aus Leningrad in besetztes Gebiet sollten verhindert werden, diesbezüglich galt ein Schießbefehl. Um den deutschen Soldaten das Schießen auf Zivilisten zu ersparen, erwogen die Befehlshaber das Auslegen eines Minengürtels oder das Errichten eines Stacheldraht- oder gar elektrischen Zauns. Umsetzen ließen sich solche Maßnahmen allerdings nicht. Es scheinen aber nur wenige
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