Lenas Tagebuch
angeheizt. Onkel Serjoscha schlief noch. Ich, Wera und Kissa setzten uns und tranken Tee. Es tut gut, am runden Tisch zu sitzen, der Samowar dampft, ein riesiger Strauß grüner Zweige und ein Sträußchen weißer Blumen erfreuen das Auge. Gleich nach dem Tee verließ ich sie, deshalb blieb mir ein kleines Stück Brot. Ich nahm in einem kleinen Koffer das Stück Brot, mein Strickzeug und das Buch »Geheimnisvolle Strahlen« von A. Tolstoi 134 mit. Lena fuhr mit der zweiten Straßenbahn bis zum »Prawda«-Kino. Sie ging in den kleinen Park und begann zu lesen.
Ringsum grünte es, die Vögel flogen umher, bauten sich Nester, die kleinen Jungen tobten und schrien. Sehr gut. Danach ging Lena in die Kantine und erhielt für die letzten zwei Marken der Nährmittel-Lebensmittelkarte einen Erbsbrei in die runde Blechdose. Sie ging hinaus, setzte sich am kleinen Park auf den Zaun und begann langsam den wohlschmeckenden heißen Brei zu essen. Seltsam, früher hat man aus Erbsen nie Brei gekocht. Es gab Erbsensuppe, aber Erbsbrei gab es in keiner einzigen Kantine, und auch Hausfrauen haben keinen Erbsbrei gemacht. Früher konnte man in jeden beliebigen Lebensmittelladen gehen, Erbsen gab es immer, und billig waren sie auch. Denn sie sind so sättigend, kauf dir zwei Kilo, und koch dir einen Brei, bis du platzt. In Zukunft werde ich mir unbedingt zum Mittagessen Erbsbrei machen.
Nachdem sie den Erbsbrei gegessen hatte, machte sich Lena auf den direkten Heimweg durch die Hinterhöfe und bemerkte auf einem Müllhaufen üppiges junges Grün. Lena bückte sich, es waren ganz junge Brennnesselsprößlinge. Drei Fingerbreit hoch, mit drei klitzekleinen Blättchen dran. Lena pflückte von diesen Brennnesseln ein Säcklein voll, ging nach Hause, legte sie in einen kleinen Topf, und siehe da: Der Topf wurde voll. Sie ging zu Tante Sascha und fragte sie, wie man Brennnesselsuppe macht. Tante Sascha kochte gerade selbst so eine Suppe. Es geht ganz leicht. Man muss die Blätter zuerst abbrühen und dann klein hacken und kochen. Lena beschloss, heute Abend »zu Hause« Brennnesselsuppe mit Fleisch zuzubereiten.
66 Das stimmte nicht, aber das Gerücht ging auch außerhalb Leningrads zu der Zeit um.
67 Auf dem Hippodrom selbst stand Flak, neben dem Hippodrom in einer ehemaligen Kaserne wurden im Winter 1941/42 die Leichen gestorbener Leningrader gesammelt.
68 Der britische Außenminister Anthony Eden war vom 16. bis 20. Dezember 1941 zu Unterredungen in Moskau, worüber in der Sowjetunion erst später offiziell berichtet wurde.
69 Ljowa besuchte offensichtlich eine Spezialschule, eine Einrichtung des sowjetischen Bildungssystems mit verschiedenen Spezialisierungen (z. B. Fremdsprachen) für die Klassen 8–10. Bevorzugt wurden dort in den Dreißiger- und Vierzigerjahren auch künftige Offiziersschüler ausgebildet.
70 Pikante Fleisch- oder Fischsuppe, mit Salzgurken gekocht.
71 Wassili Tschapajew (1887–1919), Feldkommandeur der Roten Armee während des Bürgerkriegs.
72 Mitte Januar steht die Sonne in Sankt Petersburg nur ungefähr sieben Stunden über dem Horizont. Seit 1930 war durch Anwendung der sogenannten »Dekretzeit« Sonnenaufgang erst gegen halb elf Uhr.
73 Spottgedicht vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
74 Der deutsche Vormarsch kam mit dem Wintereinbruch zum Erliegen. Die Gegenoffensive der Roten Armee ab Ende November war erfolgreich. Hitler befahl am 20. Dezember 1941, Ortschaften, die die Wehrmacht nicht halten konnte, zu zerstören. Ein analoger Befehl Stalins datiert vom 17. November 1941. Er bezieht sich auch auf Dörfer im von deutschen Truppen besetzten Gebiet.
75 Satz bricht ab.
76 Die Unterbrechung war auf Strommangel zurückzuführen und darauf, dass das Hauptwasserwerk vorübergehend abgeschaltet war.
77 Die sogenannte Wremjanka – ein kleiner eiserner Ofen, der mitten im Zimmer stand. Der Brennstoffverbrauch war geringer als bei dem großen (Kachel-)Ofen, allerdings heizte er weniger effektiv. Er war auch als Burschuika bekannt.
78 Eine Tante Lenas.
79 Romanfigur aus Nikolai Gogols Die toten Seelen . In den russischen Sprachgebrauch eingegangen als Bezeichnung für einen kleinkarierten, unordentlichen Menschen mit zwanghaftem Sammeltrieb.
80 Nach dem Krieg schrieb Lena Muchina, sie habe nur überlebt, weil die Hausverwaltung ihr aus Mitleid Mama Lenas Brotkarte nicht abnahm. Nach Anweisung des Leiters der Leningrader Miliz vom 7. Februar 1941 sollten den Angehörigen die
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