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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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musste aus dem gebacken werden, was gerade vorhanden war – auch Zellulose wurde verbacken. Die tatsächliche Verteilung war sehr unterschiedlich; Privilegierte erhielten mehr – davon profitiert auch Lena, als sie Zugang zu der Kantine der Choreografieschule bekommt.
    Brotkarte vom Dezember 1941. Die Rationen entsprechen denen, die auch Lena Muchina zustanden. Vermerk: »Die Karte wird bei Verlust nicht erneuert.«

    Angesichts des Mangels mussten sich die Menschen selber helfen: Schwarzmärkte entstanden, Haustiere wurden gegessen, Ersatzlebensmittel wie Tischlerleim verzehrt, man suchte Zugang zu Menschen mit privilegiertem Zugang zu Lebensmitteln – das alles schildert auch Lena Muchina. Kriminalität war an der Tagesordnung, Diebstähle. Es kaum auch zu Fällen von Kannibalismus. Der Staat versuchte zunächst, die Kontrolle über die gesamte Lebensmittelversorgung mit drakonischen Maßnahmen aufrechtzuerhalten, gab diese Politik aber im Frühjahr 1942 auf. Nun wurden den Leningradern private Anbauflächen zugewiesen; die Ernte durften sie behalten. Die Zahl der zu versorgenden Stadtbewohner war durch Evakuierungen und die Hungertoten des Winters zurückgegangen. Doch auch im Sommer 1942 und stärker wieder im Winter 1942/43 waren die Menschen unterversorgt. Erst 1943 konnte mit der Öffnung eines Landkorridors am Südufer des Ladogasees die Versorgung der Bevölkerung auf das Niveau anderer Großstädte gebracht ­werden.
    Die härteste Zeit war der Winter 1941/42. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 1942 verhungerten über 300 000 Menschen, das entspricht rund 135 in jeder Stunde. Schlitten, auf denen Verstorbene zu den Friedhöfen gebracht wurden, gehörten zum Straßenbild. Es war unmöglich, all diese Menschen in der gefrorenen Erde zu begraben. Ein Teil der Leichen wurde verbrannt, andere an den Friedhöfen im Frost gelagert und erst im Frühjahr ­beerdigt.

    Der Hunger und die Blockade

    Je weiter die Belagerung fortschreitet, desto mehr kreisen Lenas Tagebucheintragungen um den Hunger. Dieser Hunger war ein zentraler Bestandteil des deutschen Kriegs gegen die Sowjetunion. Er traf nicht nur die Menschen in Leningrad, sondern auch sowjetische Kriegsgefangene und die Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Er wurde mit Sachzwängen wie der Unmöglichkeit, all diese Menschen unter Kriegsbedingungen ernähren zu können, erklärt und gerechtfertigt. Doch war er keine Folge, sondern eine Voraussetzung für den deutschen Angriffskrieg: Der Plan, die Sowjetunion in einem Blitzkrieg nie­der­zu­ringen und zugleich den Kampf gegen England fortzusetzen, galt der deutschen Führung nur als durchführbar, wenn die Lebensmittelproduktion der besetzten Gebiete für die Versorgung der Wehrmacht und des Deutschen Reichs genutzt wurde.
    Hunger war eine Erfahrung des Ersten Weltkriegs, die sich in Deutschland nicht wiederholen sollte. In Hermann Görings Worten: »Mögen [diese Menschen] wegen Hungers umfallen, solange nur ein Deutscher nicht wegen Hungers umfällt … Mich interessieren in den besetzten Gebieten überhaupt nur die Menschen, die für die Rüstung und die Ernährung arbeiten. Sie müssen soviel kriegen, dass sie ­gerade noch ihre Arbeit tun können.« 137
    Das Ziel des Überfalls war die Eroberung von Land, um es mit »germanischen« Siedlern zu bevölkern. Die rassistischen Ideologien hatten in ihren Planungen zunächst nicht konkret ausgeführt, wohin die bestehende Bevölkerung verschwinden sollte. Ihr Hungertod bot nun eine »Lösung« dieses »Problems«. Die Planer dieser »Hungerpolitik« in Reichs­ernäh­rungs­minis­terium und Wirtschaftsführungsstab Ost gingen davon aus, dass etwa 30 Millionen Menschen verhungern würden.
    Der Hungertod von Millionen Menschen war das erklärte Ziel der Blockade. Um ihn sicherzustellen, wurde sogar beschlossen, ein mögliches Kapitulationsangebot der Stadt nicht anzunehmen. In der Begründung tritt die Dominanz der rassistischen Ideologie, verknüpft mit vermeintlichen Sachzwängen, deutlich zutage: »Sich aus der Lage in der Stadt ergebende Bitten um Übergabe werden abgeschlagen werden, da das Problem des Verbleibens und der Ernährung der Bevölkerung von uns nicht gelöst werden kann und soll. Ein Interesse an der Erhaltung auch nur eines Teiles dieser großstädtischen Bevölkerung besteht in diesem Existenzkrieg unsererseits nicht .« 138 Dies war in der Kriegsgeschichte noch nicht vorgekommen: Nie zuvor war eine Stadt mit dem erklärten

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