Lenobias Versprechen: Eine House of Night Story (German Edition)
Weg.
»Hooo!« Der Kutscher zügelte die Pferde und rief: »Was macht ihr zwei da? Wollt ihr umgefahren werden?«
»In diesem Ton spricht man nicht mit Mademoiselle Cécile Marsan de la Tour d’Auvergne!«, gab ihre Mutter empört zurück.
Der Blick des Kutschers wanderte zu Lenobia, die sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen wischte, das Kinn hob und ihn böse anfunkelte. »Mademoiselle? Aber warum seid Ihr hier draußen?«
»Im Schloss geht ein Fieber um. Mein Vater, der Herzog, hat mich davon ferngehalten, damit ich mich nicht anstecke.« Lenobia presste die Hand auf ihr spitzenbesetztes Mieder, bis die Perlen des Rosenkranzes sich in ihre Haut bohrten und ihr Kraft und Festigkeit gaben. Dennoch konnte sie nicht anders als hilfesuchend nach der Hand ihrer Mutter zu tasten.
»Bist du tumb, Kutscher? Siehst du nicht, dass meine Herrin hier schon viel zu lange auf dich gewartet hat? Hilf ihr in die Kutsche, damit sie aus diesem schrecklichen Wetter herauskommt, sonst wird sie auch noch krank!«, herrschte ihre Mutter den Kutscher an.
Der Mann beeilte sich, vom Bock herunterzukommen, öffnete den Kutschenschlag und bot Lenobia seine Hand an.
Als hätte man ihr in den Magen geschlagen, bekam sie plötzlich keine Luft mehr. Voller Schrecken sah sie ihre Mutter an.
Über deren Gesicht rannen Tränen, doch sie knickste nur tief und sagte: » Bon voyage , mein Kind.«
Ohne dem glotzenden Kutscher Beachtung zu schenken, zog Lenobia ihre Mutter wieder hoch und drückte sie so fest an sich, dass der Rosenkranz sich schmerzhaft in ihre Haut grub. »Richte meiner Mutter aus, dass ich sie liebe, dass ich immer an sie denken und sie vermissen werde, solange ich lebe«, sagte sie mit zitternder Stimme.
»Ich bete zur Heiligen Jungfrau, dass diese Sünde auf mich fallen möge«, flüsterte ihre Mutter gegen ihre Wange. »Mich allein soll die Strafe treffen, nicht dich.«
Dann löste sie die Umarmung, knickste noch einmal, drehte sich um und ging zügigen Schrittes in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren.
»Mademoiselle?«
Lenobia sah den Kutscher an.
»Soll ich Euch Eure Kassette abnehmen?«
»Nein«, sagte sie steif, erstaunt, dass noch ein Ton aus ihrer Kehle kam. »Ich behalte sie bei mir.«
Er schenkte ihr einen seltsamen Blick, hielt ihr jedoch wieder die Hand hin. Wie von fern sah sie zu, wie ihre Hand sich in seine legte, dann trugen ihre Beine sie hinauf in den Fond der Kutsche. Der Fahrer verneigte sich kurz, schlug die Tür zu und kletterte dann auf den Bock zurück. Als der Wagen anfuhr, drehte Lenobia sich um. Am Boden neben dem Tor zum Château de Navarre kauerte ihre Mutter, beide Hände vors Gesicht geschlagen, um ihre verzweifelten Schluchzer zu ersticken.
Die Hand gegen das teure Glas des Fensters gedrückt, saß auch Lenobia schluchzend da, während ihre Mutter und ihre gesamte Welt in Nebel und Vergangenheit versanken.
Zwei
In einem Wirbel aus Röcken verschwand Laetitia mit kehligem Lachen hinter einer Marmorwand voller Heiligenreliefs. Nur der Duft ihres Parfüms und die Erinnerung an ein unerfülltes Verlangen blieben zurück.
»Ah, ventrebleu !«, fluchte Charles und zupfte sich die samtene Robe zurecht.
»Euer Exzellenz?«, rief der Messdiener nun schon zum zweiten Mal durch den Chorgang hinter der Kanzel. »Habt Ihr mich gehört? Der Erzbischof ist hier und fragt nach Euch!«
»Ja, ich habe es gehört!« Ungehalten sah Charles den Knaben an. Im Näherkommen scheuchte er ihn mit der Hand beiseite. Als der Kleine wie ein erschrecktes Fohlen zusammenzuckte, musste der Priester lächeln. Charles’ Lächeln war kein angenehmer Anblick, und eilig brachte sich der Knabe auf die Stufen zur Kanzel in Sicherheit.
»Wo ist de Juigné?«, fragte Charles.
»Nicht weit, er wartet in der Vorhalle, Euer Exzellenz.«
»Ich hoffe, er wartet noch nicht lange?«
»Nicht sehr, Euer Exzellenz. Aber Ihr wart, äh –« Der Knabe brach ab. Aus seiner Miene sprach hilflose Bestürzung.
»Ich war in tiefem Gebet versunken, und du hast es nicht gewagt, mich zu stören«, beendete Charles mit einem scharfen Blick den Satz für ihn.
»J-ja, Euer Exzellenz.«
Der Knabe schien unfähig, den Blick von ihm abzuwenden. Er hatte zu schwitzen begonnen, und sein Gesicht glühte besorgniserregend. Es war schwer zu sagen, ob der Kleine gleich in Tränen ausbrechen oder seiner Entrüstung Luft machen würde. Beides hätte den Bischof amüsiert.
»Ah, aber nun ist nicht die Zeit für
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