Eine mörderische Karriere
Alle auf der Party sprachen über das Verschwinden von Georgia Arnott. Jane hörte zum ersten Mal davon. Die vergangenen zwei Wochen war sie auf Geschäftsreise gewesen. Auch wenn Georgia und Jane sich im Lauf der letzten Jahre voneinander entfernt hatten, war ihr Georgia immer noch ziemlich wichtig. Von ihrem Verschwinden zu hören war ein furchtbarer Schock.
Es war eine sehr große Party. An die hundert Leute verteilten sich auf die Rasenflächen und Gärten des kaledonischen Besitzes von Malcolm Morton. Einige standen in kleinen Gruppen unter der großen Streifenmarkise, andere scharten sich um die Bar und tranken. Einige schwammen im Pool, wieder andere spielten Badminton. Eine Gruppe, die Frauen waren barfuß , spielte Krocket auf einem ebenen Streifen Erde, der sich seitlich am Haus zu dem kleinen stillen See hinunterzog, wo der gepflegte Rasen in weiß eingezäunte Pferdeweiden überging.
Die Junisonne schien warm auf das Gras hinunter, doch Jane fand das Licht irgendwie sonderbar. Der Himmel hatte einen Graustich, und die Luft war still und leblos. Fliegen summten um die Tische herum, auf denen das Essen stand, und ließen sich auf den Krocket spielenden Gästen nieder. Eine umschwirrte jetzt Simon Arnott und ruhte kurz auf seiner Stirn aus, auf der ein schwacher Schweißfilm zu sehen war. Jane beugte sich vor, um sie zu verjagen. Simon, träge, die Augen geschlossen, schien ihre Geste nicht zu bemerken.
Er saß ausgestreckt auf einem Cape Cod-Stuhl , die Arme schützend vor der Brust verschränkt, sein Glas Bier auf der breiten Stuhllehne war unberührt geblieben und schal geworden. In dem hellen Sonnenlicht konnte Jane die Falten auf seinem Gesicht sehen. Sie fand, sie wirkten tiefer als bei ihrer letzten Begegnung vor Georgias Verschwinden. Es war ein längliches, attraktives Gesicht. Eine knochige, gutgeformte große Nase, ein kräftiges schmales Kinn mit einem leichten Grübchen und schütteres blondes Haar, raffiniert geschnitten und gefönt. Simon leitete eine einfluß- und erfolgreiche Werbeagentur und spielte eine wichtige Rolle als Graue Eminenz und Geldbeschaffer für eine von Kanadas zwei Regierungsparteien. Er hatte die Art von Gesicht, das sowohl im Fernsehen als auch vor einer Gruppe unentschlossener Kunden ankam. Normalerweise strahlte er Stärke, Aufrichtigkeit und Vertrauenswürdigkeit aus. Und normalerweise, dachte Jane, sah er attraktiv aus, heute jedoch nicht.
»Tja, da bin ich eigentlich ganz deiner Meinung«, nahm Jane das Gespräch wieder auf. »Unter normalen Umständen ist es unwahrscheinlich, daß Georgia sich einfach so abgesetzt haben soll, aus freien Stücken, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Aber... vielleicht... wenn jemand sie brauchte und bat, es geheimzuhalten ?«
»Unmöglich, Jane«, erwiderte Simon, ohne die Augen zu öffnen. Seine gewöhnlich so ausdrucksvolle Stimme klang matt. »Du kennst doch Georgia. Du kennst ihren Sinn für Verantwortung, wie verläßlich und gewissenhaft sie war. Sie würde mich niemals ohne eine Nachricht verlassen. Sie weiß, daß ich mich zu Tode um sie ängstigen würde. Sie würde Malcolm Morton nicht im Stich lassen. Er hat ihr vertraut, hat ihr das Crystal-Projekt gegeben, als er Prospero übernahm. Und sie würde auch niemals ihr Team bei Prospero verlassen, nicht jetzt, wo so viel davon abhängt, daß sie das Projekt zum Abschluß bringen. Millionen von Dollars und eine Menge Jobs hängen davon ab, ob Crystal pünktlich auf den Markt kommt. Es gibt einfach keinen Grund, warum Georgia da aussteigen sollte.«
»Nun, vielleicht die Sorge, der Streß wegen...«
»Das sagst du so, Jane, aber Georgia machte sich keine Sorgen. Sie war voller Selbstvertrauen. Sie meinte, die Dinge liefen gut, sie wären dem Zeitplan voraus, Crystal ließe sich sensationell an.«
»Stimmt genau«, sagte eine Stimme hinter Jane. Sie drehte sich um und sah ihren Gastgeber, Malcolm Morton, der ihnen zulächelte. Anders als Simon, der in einer cremefarbenen Bundfaltenhose aus Seide und italienischen Lederschuhen elegant gekleidet war, machte Malcolm einen ganz entspannten, zwanglosen Eindruck. Er war ein großer, kräftig gebauter Mann Anfang Fünfzig, um die Taille legte er bereits etwas zu. Sein dunkles Haar, das oben weniger wurde, war sehr kurz geschnitten. Er hatte dicke, widerspenstige dunkle Brauen und kleine dunkelbraune Augen, deren volle Wirkung nur selten bemerkbar wurde, es sei denn, er schaute einen direkt an. Er trug eine tadellos gebügelte
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