Leonardo und das Geheimnis der Villa Medici
meine, dass sind doch alles nur Annahmen! Genaues wissen wir doch gar nicht!“
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„Ich hoffe, dass sich das bald ändert!“
„Hast du mal darüber nachgedacht, was dieser Mann mit uns
anstellt, wenn wir seinem Geheimnis auf die Spur kommen? Wenn er wirklich irgendwelche geheimen Karten kopieren lässt, wie du
vermutest, dann darf er uns nicht am Leben lassen, wenn es ihm nicht selbst an den Kragen gehen soll!“
„Wir werden vorsichtig sein“, versprach Leonardo.
„Dann wären wir Zeugen und müssten vielleicht vor Gericht in
Florenz aussagen!“
„Lass uns erstmal den Reiter wieder finden!“, meinte Leonardo.
Und Carlo musste darüber schmunzeln, dass diesmal er es war, der sich Fantasien hingegeben hatte – und nicht Leonardo.
Die Stunden gingen dahin. Marcella war ein duldsames Pferd,
aber es war schwer sie zu einer schnelleren Gangart zu bewegen.
Zeitweilig war es Leonardo gelungen sie zum Galopp zu bewegen.
Leonardo hielt sich dann an der Mähne fest und Carlo klammerte sich an Leonardos Rücken.
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Aber früher oder später wurde Marcella wieder langsamer und
verfiel in ihren gewohnten Schritt.
„Ob wir den Reiter auf diese Weise einholen können, ist die
Frage“, meinte Leonardo skeptisch.
„Falls der Kerl die ganze Zeit über im vollen Galopp reitet, magst du recht haben, Leonardo. Aber ich glaube nicht, dass er das tut.“
„Wieso nicht?“
„Weil sein Pferd schon den Ritt von Florenz nach Vinci hinter
sich hat. Nach so einer Strecke müsste das Pferd völlig erschöpft sein.“
„Bei deinem Vater muss es ja auch einen vollbeladenen Wagen
ziehen – in diesem Fall nur einen Reiter tragen!“, gab Leonardo zu bedenken.
„Dafür benutzt mein Vater auch zwei Pferde für seine Wagen!“,
hielt Carlo dem entgegen. „Wie auch immer, ich vermute, dass er irgendwo unterwegs für ein-, zwei Stunden Pause macht.
Mindestens! Und noch etwas! Es hat für ihn überhaupt keinen Sinn, schneller zu reiten, weil die Stadttore nachts geschlossen sind. Er 123
müsste ohnehin warten, bis sie nach Sonnenaufgang geöffnet
werden.“
Carlos Vermutung sollte sich bestätigen. Als sie eine Anhöhe
erreichten, sahen sie in der Ferne ein Feuer brennen.
„Das muss er sein“, vermutete Carlo.
„Dann lass uns nahe genug heranreiten, damit wir das überprüfen können!“
Leonardo trieb Marcella vorwärts. Die Dunkelheit schützte sie.
Außerdem gab es überall Sträucher und vereinzelt auch ein paar Bäume. Außerdem befand sich der Lagerplatz in der Nähe eines
Baches, der ziemlich stark rauschte, sodass die Geräusche, die sie verursachten davon hoffentlich überdeckt wurden.
Als sie der Feuerstelle schon ziemlich nahegekommen waren,
meinte Leonardo, dass es besser sei, jetzt abzusteigen. Er rutschte vom Pferd herunter und Carlo folgte seinem Beispiel.
„Und jetzt?“, fragte Carlo flüsternd.
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Leonardo gab seinem Freund Marcellas Zügel. „Pass auf sie auf
und warte hier. Ich werde mich mal umsehen!“
„In Ordnung.“
In geduckter Haltung schlich Leonardo auf das Feuer zu. Immer
wieder versteckte er sich hinter einzelnen Sträuchern und wartete einige Augenblicke ab, bevor er sich weiter vorwärts heranschlich.
Im flackernden Schein des Feuers sah er den Mann mit dem
Federhut sitzen. Er hatte eine Decke ausgebreitet. Neben ihm befand sich das Sattelzeug, sein Schwert und eine Ledertasche, die man an einem Riemen um die Schultern tragen, aber auch an einen
Sattelknauf hängen konnte.
Diese Tasche ähnelte jener, die der andere Reiter benutzt hatte, dem Leonardo begegnet war.
War darin das Geheimnis enthalten, um das es hier ging? Ein
Geheimnis, das wertvoll genug war, um zwei bewaffnete Kuriere
regelmäßig nach Vinci reiten zu lassen?
Das Pferd des Reiters mit dem Federhut befand sich ein paar
Schritte entfernt. Es war an einem Baum festgebunden und schnaubte plötzlich.
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Der Mann am Feuer warf einen Blick dorthin.
Dann sah er sich in der Umgebung nach einer Ursache für die
Unruhe des Pferdes um.
Leonardo verhielt sich ruhig. Er hielt den Atem an.
Hatte das Pferd ihn vielleicht bemerkt? Waren die Geräusche, die er verursacht hatte, vielleicht laut genug, um das Tier zu
beunruhigen?
Als das Pferd sich noch einmal meldete und diesmal sogar
wieherte, stand der Mann mit dem Federhut auf, ging zu dem Tier hin und tätschelte ihm das Fell. „Ganz ruhig“, sagte er. „Es ist doch nichts. Oder hast du etwa noch Durst?“
Der Mann nahm
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