Leonardos Liebesbiss
lebten.
Tanya wollte dorthin. Da fand sie immer einen Wagen, den sie aufbrechen und kurzschließen konnte, um damit ihre Flucht fortzusetzen.
Die Fünfundzwanzigjährige war knochenhart. Sie befand sich auf einem gefährlichen Teilstück ihres Lebens, das manchmal zu einer Schlitterbahn werden konnte. Da mußte sie stark achtgeben, daß sie nicht die Balance verlor.
Sie hatte einiges einstecken müssen. Nicht immer war der Beischlafdiebstahl so relativ harmlos abgelaufen. Zweimal schon war es ihr verdammt dreckig ergangen, und Tanya hatte diese Dinge eben als reines Berufsrisiko eingeschätzt.
Jetzt fing es noch an zu regnen. Nicht sehr stark, aber die feinen Tropfen sprühten wie winzige Eiskörner gegen das Gesicht und auch gegen ihren Körper.
Der Boden war weich, und manchmal rutschte sie aus, aber sie riß sich immer wieder zusammen. Die kleine Ortschaft, deren Namen sie nicht einmal kannte, lockte einfach zu stark. Da durfte eine zähe Person wie sie nicht aufgeben.
Ein paarmal verfluchte sie ihr langes Haar. Sie strich die nassen Strähnen immer wieder zurück. Mit gesenktem Kopf ging sie weiter. Keuchend, manchmal auch fluchend. Den Weg hatte sie längst verlassen. Tanya stapfte querfeldein. Ihre Schuhe waren verdreckt, die Jeans ebenfalls bis zu den Knien.
Verbissen machte sie weiter. An Craig dachte sie nicht mehr. Der würde auch nicht nach ihr suchen und sich wahrscheinlich schrecklich über den Verlust der Scheine aufregen.
Als sie wieder einmal den Kopf hob, war das Licht nicht mehr zu sehen. Im ersten Augenblick erschrak sie und glaubte, den falschen Weg gegangen zu sein. Dann sah sie es durch das Geäst der Bäume schimmern. Tanya hatte nicht mitbekommen, daß sie schräg auf ein Waldstück zugegangen war.
Den Wald selbst wollte sie nicht durchqueren. Es war besser, wenn sie ihn umging. Dann geriet sie auch wieder in Sichtweite der kleinen Ortschaft.
So wandte sich die Frau nach rechts. Sie malte sich aus, welchen Wagen sie stehlen würde. Recht war ihr jeder, aber sie liebte am meisten die kleinen und schnellen, die nicht so auffielen. Damit würde sie wieder zurück nach London fahren, sich zwei, drei Tage ein gutes Leben machen, um danach erneut an die >Arbeit< zu gehen. Ihr Zimmer war nicht teuer, und das gestohlene Geld reichte aus, um einen Teil davon auf ein Sparkonto zu legen, denn mit 30 wollte sie den stressigen Job an den Nagel hängen und ein anderes Leben führen.
Den Wald ließ sie links liegen. Sie sah auch die Bäume nicht mehr, denn sie tauchten hinter den Schleiern aus Regen unter. Das Gebiet war zu einem großen grauen Fleck geworden.
Wieder sah sie die Lichter. Obwohl sie starr in die Nacht hineingrüßten, schwankten sie auf und nieder. Das hing einzig und allein mit ihrer schwerfälligen Gehweise zusammen. Sie kam nicht mehr so gut weg wie noch zu Beginn. Der Regen hatte den Boden sehr tief werden lassen und stark aufgeweicht. Manchmal trat sie in Mulden hinein und hatte dabei das Gefühl, die feuchte Erde wollte ihre Füße festhalten und sie nie mehr loslassen.
Für Tanya ging es weiter. Sie war keine, die so schnell aufgab. Wenn sie sich ein Ziel ausgesucht hatte, dann sorgte sie auch dafür, daß sie es erreichen konnte.
Waren die Lichter nähergekommen? Es sah nicht so aus, aber in der Dunkelheit waren Entfernungen sowieso schwer zu schätzen. Das hatte sie mittlerweile herausgefunden.
Weiter vor ihr mußte es eine Straße geben, die quer zu ihr verlief. Sie sah dort ein Auto fahren. Seine Scheinwerfer warfen das Licht wie ein Tuch über den Belag. Tanya konnte sehen, wie es weiterwanderte, aber das Fahrzeug bog nicht in den Ort ab.
Eine Straße war immer gut. Dort würde sie auch besser laufen können als auf diesem nassen und schwierigen Gelände. Verbissen kämpfte sie sich vor und wäre fast gegen einen quer gespannten Stacheldraht gelaufen, der ein Feld oder eine Wiese umschloß.
Tanya blieb stehen. Mit dem Handrücken wischte sie sich das Wasser aus dem Gesicht. Es war wohl mehr Zufall, daß sie dabei den Kopf nach links drehte.
Da sah sie den Umriß!
Zuerst dachte sie an eine Hütte, einen Stall, aber die sahen anders aus. Und wenn sie genau hinschaute, fiel ihr sogar das Licht auf, das sich hinter den dünnen Regenschleiern abmalte.
Tanya runzelte die Stirn. Sie wußte noch nicht, wie sie sich verhalten sollte. Das war keine normale Bude oder Hütte. Es war ein Wohnwagen. Sie hatte den Eindruck, als hätte sich in dieser Gegend ein Einsiedler
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