Leonardos Liebesbiss
genug gewartet, und ich war mir auch nicht sicher, ob die sehr starke Dämonenpeitsche das neu entstandene Wesen tatsächlich zerstörte oder nur dafür sorgte, daß es in eine andere Existenz überging.
Ich hatte in der letzten Zeit zuschauen können. Vernichtet worden war es nicht. Es hatte sich nur verändert; möglicherweise würde es sich sogar zurück in seine Urform verwandeln, so daß wir das Nachsehen hatten.
Das wollte ich nicht.
Deshalb war ich gesprungen, und deshalb setzte ich auch mein Kreuz ein.
Es war tatsächlich eine Waffe gegen die Kreaturen der Finsternis, auch wenn es bei ihrer Entstehung noch nicht erfunden worden war. Damals hatte es keine Menschen gegeben, und so hätte niemand daran glauben ktinnen, daß aus einem römischen und zugleich heidnischen Symbol der Triumph des Guten über die Finsternis werden würde.
Ich landete auf der weichen Masse. Mit meinem Gewicht drückte ich sie nach unten, rutschte selbst fast unter Wasser, drückte das Kreuz aber tief in die Deformation hinein, die einmal ein menschlicher Schädel gewesen war.
Es gab für mich keinen Gegendruck mehr. Ich spürte, wie die Masse unter mir auseinanderfiel. Ich fand Halt auf dem Boden, und ich warf Suko meine Lampe zu.
Er fing sie auf.
Das Leuchten brachte nicht viel. Es gab kein Ziel mehr, bis auf eine Stelle, die weiter entfernt lag, denn dort waren die Reste hingeschwemmt worden.
Da brodelte und kochte das Wasser. Da stieg der scharf riechende Qualm in die Höhe. Aus dem blubbernden Wasser lösten sich blutige Brocken, die wieder zurückfielen und eintauchten.
Leos Rest wurde zerrissen. Seine Zeit war vorbei. Er würde niemanden mehr küssen und zu seiner Braut machen.
»Verletzt?« fragte Suko.
»Nein. Du?«
»Auch nicht.«
Ich dachte an den jungen Mann in der oberen Ebene. »Wir brauchen trotzdem einen Arzt, und das so schnell wie möglich…«
***
Über ein Handy war eine Hilfstruppe mobilisiert worden. Die Türen wurden geöffnet. Jemand kannte sich auch aus und sorgte wieder für eine Beleuchtung, auch wenn sie nur schwach war und den Namen kaum verdiente. Aber die Menschen konnten wieder etwas sehen, als sie die verdammte Geisterbahn verließen.
Daß der junge Mann in der oberen Etage noch lebte, verdankte er seinen Mitfahrern. Sie hatten sich abwechselnd um ihn gekümmert und die Schnittwunde immer wieder so zusammengepreßt, daß sich der Blutverlust in Grenzen hielt.
In der oberen Etage fand ich auch Melanie wieder. Sie fragte nichts. Sie schaute mich nur an und sah mein Lächeln.
»Dann… dann brauche ich keine Angst mehr zu haben, John?«
»Nein.«
Sie sprang mich an wie eine Tochter ihren Vater. Ich hörte sie jubeln, ich wurde geküßt, und ich sah auch die Tränen der Erleichterung. Sie lief dann auf die Außengalerie und winkte ihren Freundinnen zu. Sie hielten sich noch in der Masse der Menschen auf, die zusammengelaufen waren und von der Polizei kaum zurückgehalten werden konnten. Niemand wußte so recht, was in der Geisterbahn passiert war. Es würde sich noch schnell genug herumsprechen, und dann würde die Presse versuchen, Erklärungen zu finden.
Das war mir letztendlich egal. Von mir würden sie sowieso keine Antworten bekommen.
Wer der vernichtete männliche Vampir war, wußte ich nicht. Ich konnte mir denken, daß Tanya ihn sich als Opfer geholt hatte. Und überhaupt würden wir nie herausfinden, was eigentlich hinter allem gesteckt hatte.
Wir wußten, daß die Kreatur der Finsternis, die sich aus einem Menschen und einem Vampir zusammensetzte, nicht mehr existierte. Und dabei würden wir es auch belassen…
ENDE
[1] Siehe John Sinclair Taschenbuch Nr. 73 206 »Mister Mirakel«
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