Leopard
Utmo an der Seite des Schneescooters befestigt hatte. Daneben erkannte sie ein Bündel mit roten Dynamitstangen und eine Waffe mit Zielfernrohr.
Kaja drehte sich zu dem Polizisten um. Krongli zuckte mit den Schultern und lächelte noch einmal sein jungenhaftes Lächeln. »Viel Glück, ich hoffe, Sie …«
Der Rest wurde vom Brüllen des Schneescooters übertönt. Kaja beeilte sich aufzusteigen. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass es Handgriffe gab, an denen sie sich festhalten konnte, so dass sie den Alten nicht von hinten umarmen musste. Abgase quollen um sie herum empor, dann setzte sich die Maschine mit einem Ruck in Bewegung.
Utmo stand mit leicht gebeugten Knien da und balancierte den Schneescooter mit dem Gewicht seines Körpers aus, lenkte ihn am Hotel vorbei und über einen Schneewall in den weichen Schnee, um dann schräg die erste Steigung hinaufzufahren. Als sie den Gipfel der Anhöhe erreichten und nach Norden blicken konnten, öffnete sich vor ihnen eine endlose weiße Ebene. Utmo drehte sich um und nickte ihr fragend zu. Kaja gab ihm zu verstehen, dass mit ihr alles in Ordnung war. Dann gab er Gas. Kaja drehte sich um und sah die letzten Häuser in dem hinter dem Scooter aufwirbelnden Schnee verschwinden.
Kaja hatte schon mehrfach gehört, dass man beim Anblick der schneebedeckten Weiten an die Wüste denken musste, doch ihr kamen die Tage und Nächte in den Sinn, in denen sie gemeinsam mit ihrem Bruder auf dessen Boot draußen auf dem Meer gewesen war.
Der Schneescooter schnitt sich durch die unendliche, leere Landschaft. Schnee und Wind hatten gemeinsam alle Konturen verwischt und geglättet, so dass die Landschaft wie eine Meeresoberfläche aussah, aus der sich das gewaltige Massiv des Hallingskarvet wie eine bedrohliche Monsterwelle erhob. Es gab keine abrupten Bewegungen, der weiche Schnee und das Gewicht des Scooters dämpften alles. Kaja rieb sich vorsichtig die Nase und Wangen, um sicherzugehen, dass sie ausreichend durchblutet wurden. Sie wusste, was selbst leichte Erfrierungen mit einem Gesicht anstellen konnten. Das monotone Brüllen des Motors und die beruhigende Gleichförmigkeit der Landschaft hatten sie schläfrig gemacht, als sie plötzlich aufschreckte, weil der Motor erstarb und sie stillstanden. Sie schaute auf die Uhr. Ihr erster Gedanke war, dass sie mindestens fünfundvierzig Minuten von der Zivilisation entfernt einen Motorschaden hatten. Wie lang war das auf Skiern? Drei Stunden? Fünf? Sie hatte keine Ahnung. Utmo war bereits abgestiegen und hatte die Skier vom Scooter genommen.
»Stimmt etwas nicht mit dem …«, begann sie, hielt aber inne, als Utmo sich aufrichtete und in die Talsenke deutete, vor der sie angehalten hatten.
»Die Håvasshütte«, sagte er.
Kaja blinzelte durch ihre Sonnenbrille. Tatsächlich. Ganz unten am Fuß des Berghanges sah sie eine schwarze, kleine Hütte.
»Warum fahren wir nicht …«
»Weil das Idioten sind, dank derer wir uns jetzt zu dieser Hütte schleichen müssen.«
»Schleichen?«, fragte Kaja und beeilte sich, wie Utmo die Skier anzuschnallen.
Er zeigte mit dem Skistock zum Berg. »Wenn man mit dem Scooter in ein so enges Tal fährt, werden die Geräusche hin- und hergeworfen. Der Neuschnee …«
»Lawinen«, sagte Kaja. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters, der ihr von einer seiner Alpentouren erzählt hatte. Während des Zweiten Weltkrieges waren dort oben mehr als 60 000 Soldaten Opfer von Lawinen geworden, die in ihrer Mehrzahl von den Schallwellen des Artilleriefeuers ausgelöst worden waren.
Utmo blieb einen Moment stehen und sah sie an. »Die Naturfreunde aus der Stadt halten sich für klug, wenn sie eine Hütte im Schutz eines Berghangs bauen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die unter einer Lawine begraben wird.«
»Auch die?«, fragte Kaja.
»Die Håvasshütte steht erst seit drei Jahren da. Dies ist der erste Winter mit richtig hoher Lawinengefahr. Und es soll noch weiterschneien.«
Er zeigte nach Westen. Kaja hob die Hand über die Augen. Am Schneehorizont sah sie, was er meinte. Schwere, dunkelgraue Kumuluswolken türmten sich wie Pilze übereinander.
»Es soll die ganze Woche schneien«, sagte Utmo, nahm das Gewehr vom Scooter und hängte es sich über die Schulter. »Wenn ich Sie wäre, würde ich mich beeilen. Und seien Sie leise.«
Sie stiegen schweigend hinab, und Kaja spürte, wie die Temperatur sank, als sie im Schatten des Berghangs ganz unten ins Tal kamen, wo die Kaltluft
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