Leopard
herunterlief. Er dachte an die beiden Gestalten, die er auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol gesehen hatte. Der Flug aus Oslo war mit Verspätung gelandet, so dass Harry durch Korridore, vorbei am aufsteigenden Alphabet und den wachsenden Zahlen der Gates, gejoggt war, um den Flieger nach Kampala, Uganda, noch zu erreichen. An einer Korridorkreuzung hatte er aus dem Augenwinkel zwei Gestalten wahrgenommen, die ihm merkwürdig bekannt vorgekommen waren. Sie hatten aber im Gegenlicht gestanden und waren viel zu weit weg gewesen, als dass er ihre Gesichter hätte erkennen können. Als Harry als letzter Pas sagier das Flugzeug betrat, war er zu dem endgültigen Schluss gekommen, dass sie es nicht gewesen sein konnte. Das war doch vollkommen unwahrscheinlich? Und der Junge neben ihr war definitiv nicht Oleg gewesen. So sehr konnte er in der Zwischenzeit nicht gewachsen sein.
»Next.«
Harry stellte sich vor den Schalter, legte seinen Pass hin, das Immigrationsformular, die Kopie des Visumantrages, den er sich aus dem Internet ausgedruckt hatte, und die sechzig frischgebügelten Dollarscheine, die das Visum kostete.
»Business?« , fragte der Passkontrolleur, den Harry musterte. Der Mann war groß, dünn und hatte eine derart schwarze Haut, dass man sich fast darin spiegeln konnte. Wahrscheinlich ein Tutsi, dachte Harry. Das waren diejenigen, die jetzt die Grenzen des Landes kontrollierten.
»Yes.«
»Where?«
»Congo« , sagte Harry, ehe er sein Reiseziel präziser mit dem Namen angab, der von den Einwohnern verwendet wurde, um die beiden Kongo-Länder voneinander zu unterscheiden. »Congo-Kinshasa.«
Der Passkontrolleur zeigte auf das Immigrationsformular, das Harry im Flugzeug ausgefüllt hatte. »Says here you’re staying at Gorilla Hotel in Kigali.«
»Just tonight« , sagte Harry. »Then drive to Congo tomorrow, one night in Goma and then back here and home. It’s a shorter drive than from Kinshasa.«
»Have a pleasant stay in Congo, busy man« , sagte der Uniformierte mit einem herzlichen Lachen, drückte den Stempel auf den Pass und gab ihn Harry zurück.
Eine halbe Stunde später füllte Harry eine Gästekarte im Gorilla Hotel aus, unterschrieb und bekam einen Schlüssel ausgehändigt, an dem ein aus Holz geschnitzter Gorilla hing. Als Harry sich auf dem Bett ausstreckte, war es achtzehn Stunden her, dass er von seinem Bett in Oppsal aufgestanden war. Er starrte den dröhnenden Ventilator am Fußende des Bettes an. Obgleich die Blätter mit hysterischer Geschwindigkeit rotierten, stand die Luft still. Er würde wieder einmal keinen Schlaf finden.
Der Fahrer bat Harry, ihn Joe zu nennen. Joe stammte aus dem Kongo, sprach fließend Französisch und etwas zähflüssiger Englisch. Er war über einen Kontakt in einer norwegischen Entwicklungshilfeorganisation angeheuert worden, die ihre Basis in Goma hatte.
»Eight hundred thousand« , sagte Joe, als er den Landrover über die löchrige, aber absolut befahrbare Asphaltstraße lenkte, die sich durch eine grüne Hügellandschaft mit von oben bis unten bewirtschafteten Berghängen schlängelte. Ab und zu bremste er gnädig, um keinen der zahlreichen Menschen zu überfahren, die zu Fuß, auf Rädern, mit Karren oder Tieren am Straßenrand unterwegs waren. In der Regel wichen sie aber selbst in letzter Sekunde zur Seite aus.
»1994 haben sie innerhalb weniger Wochen 800 000 Menschen getötet. Hutus sind zu ihren guten alten Nachbarn gegangen und haben sie mit Macheten abgeschlachtet, weil sie Tutsis waren. Sogar im Radio lautete die Botschaft: Wenn du ein Hutu bist und dein Ehemann ein Tutsi, dann ist es deine Pflicht, ihn zu töten. Cut down all the tall trees . Viele sind über diese Straße geflüchtet …« Joe zeigte aus dem Seitenfenster. »Damals lagen hier überall Leichen, aufeinandergestapelt, an manchen Stellen war kein Durchkommen mehr. Eine fette Zeit für Geier.«
Schweigend fuhren sie weiter.
Sie kamen an zwei Männern vorbei, die einen Holzstock zwischen sich trugen, an dem eine große, an den Füßen zusammengebundene Raubkatze hing. Kinder rannten jubelnd neben ihnen her und stachen mit Stöcken nach dem toten Tier. Der Pelz war sonnengelb mit Schattenflecken.
»Jäger?«, fragte Harry.
Joe schüttelte den Kopf, schaute in den Rückspiegel und antwortete in einer Mischung aus französischen und englischen Vokabeln: »Überfahren, nehme ich an. Ihn zu jagen ist nahezu unmöglich. Es gibt nur wenige davon, und die Reviere sind groß,
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