Ler-Trilogie 01 - Morgenrötes Krieger
sie mit mensc h lichen Genen und arrangierten verschiedene Kreuzungen und Kombinationen. Sie züchteten ganze Generationen unter beschleunigtem Wachstum im Laboratorium – Kreaturen, die nie zum Bewußtsein erwachten! Möge der Eine sie mit ewiger Senilität schlagen! Und ich sage dir: Die Evolution ist beides, vielschichtig und vielfältig. Die Allgemeinsprache ist eigentlich unbrauchbar, aber ich kenne ein altes russisches Wort, das die Sache genau trifft: raznoöbrazny – von vielerlei Gestalt. Keiner kennt all ihre Gesetze und Erscheinungsformen, weder Mensch noch Ler. Als sich schließlich die passende Form herau s kristallisierte, war es fast wie Magie, wie eine Zaube r formel. Sie hatten die nächsthöhere Stufe der Selbstwe r dung erreicht. Eigenresonanz – wie in der Musik der nächste Halbton, auch wenn ich von chromatischen To n leitern nichts verstehe. Besser noch – der nächste Dre i klang. Oder wie in der Physik – das Folgeelement. M a gie, Magie! Mich schaudert, wenn ich daran denke, was sie sich in ihrer Arroganz geleistet haben. Aber sie waren glücklich über ihren Erfolg und produzierten eine ganze Anzahl. Sie wußten jetzt, wie. Sie züchteten uns in kle i nen Lagern heran. Aber die Erstgeborenen wußten, was dort vor sich ging, sie hatten genügend Intuition. Sie praktizierten eine Art gesellschaftlichen Primitivismus. Sie waren in der Tat Primitive. Ihr hattet zehntausend Jahre Zeit, um eine passende Kultur zu entwickeln – wir dagegen fielen von der Schöpfung in das zweite Ato m zeitalter. Aus dem Nichts formten sie für uns eine Kultur.
Dann merkten die Menschen, daß sie sich nicht mit uns kreuzen konnten. Sie hatten ihren Supermann – aber er war zu nichts nutze! Ironie des Schicksals! Sie hatten nach dem Unerreichbaren gegriffen, hatten es erreicht, konnten es aber nicht für sich verwenden! Und sie e r kannten, daß es mit ihren Geschöpfen wie mit dem Homo sapiens und seinen Verwandten in ferner Vergangenheit bestellt war: Sie waren anders! Vielleicht nicht besser oder großartiger – aber doch anders. Sechstausend waren wir, mit einer solch niedrigen Geburtenrate, daß es Gen e rationen gedauert hätte, eine Zahl zu erreichen, die die Stabilität unseres genetischen Codes gewährleistet hätte. Sie benutzten uns, bis wir Jahre später entflohen.
Es ist wahr, daß wir Fähigkeiten besitzen, die euch Menschen abgehen. Ihr habt uns ein eidetisches G e dächtnis gegeben, aber zugleich mußtet ihr uns die F ä higkeit geben, zu vergessen. Aber es ist kein Vergessen in eurem Sinne. Bei euch handelt es sich um eine Art Verdrängung, nicht um einen Totalverlust wie bei uns. Wenn wir etwas schriftlich niederlegen, so müssen wir höllisch aufpassen: denn ist es einmal heraus aus dem Kopf, kann es für immer fort sein. Dafür gibt es keine Gedankenquälerei; man kann keinem ein Geheimnis en t locken, der alles total vergißt – selbst noch die Tatsache, daß er existiert. Wir können auch besser sehen, da wir ein größeres sensorisches Spektrum für natürliches Licht h a ben – zwei zusätzliche Farben auf jeder Seite der Skala –, und acht statt drei Wellenbereiche, auf die unsere Sehze l len eingerichtet sind.
Doch alles kann auch zur Belastung werden, Han. Wir kennen kein spezielles Nachtsehen, sondern sehen auch dann noch farbig, allerdings mit geringerer Intensität. Und was ist mit der niedrigen Geburtenrate und der ku r zen Fruchtbarkeitsperiode, die bei uns einprogrammiert ist wie bei den Tieren auf dem Feld? Man sagt, es sei ein Gesetz der Evolution: je höher die Art, um so mehr B e wußtsein, um so weniger Instinkt; je niedriger die Gebu r tenrate … Und auch sonst: unsere Größe, unsere Hände. Oder auch unsere jugendliche Erscheinung, um die ihr uns so beneidet. Ja, ich weiß Bescheid. Der Traum von der ewigen Jugend. Und dann das Sexualverhalten im Reifungsalter. Man gab es uns nicht zum Vergnügen, sondern aus Berechnung. So beschäftigt, hatten wir n a türlich wenig Zeit und Lust, um uns um andere Dinge zu kümmern. So wurde es zu einer oberflächlichen Körpe r liebe, die wir nie mit anderen Dingen verbinden können. Es gibt nur das eine: oberflächlich, alltäglich und wenig leidenschaftlich. Die echte Liebe ist selten.
Du willst sicher wissen, wie es damit steht? Schön, ich will es dir erzählen. Zwanzig Jahre lang viel Spaß, Ve r gnügen und Spielerei – aber fruchtlos, ja, fruchtlos. Wir fürchten uns vor der Fruchtbarkeit, weil Sexualität dann einen
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