Ler-Trilogie 01 - Morgenrötes Krieger
…“
„Es ist schon eine eigenartige Sache, daß nicht alle von selbst ins totale Vergessen fallen. Einige ja, aber es ist selten. Es gibt Geschichten darüber.“
Sie schwieg. Draußen war es finster geworden, und Han sah ihr schwach erhelltes Gesicht, das sich von der Du n kelheit abhob. Er wußte nun, daß er sie besser als sie ihn begreifen konnte. Weit entfernt, zwischen Bäumen und Felsen, jaulten unbekannte Tiere ihre Herausforderung den Sternen entgegen. Liszendir seufzte tief und schwer.
„Und damit kommen wir zu uns. Du sprichst davon, daß du mit mir schlafen möchtest, aber dein Handeln geht tiefer. Ich bin eine Heranreifende – hungrig nach Liebe. In meinen Augen bist du irgendwie ein Wilder, ungehobelt, aber nicht unliebenswürdig. Zudem warst du ein echter Freund, aufmerksam und wißbegierig. Alles, was bisher passiert ist, läßt bei mir ein tiefes Gefühl au f kommen, ein Gefühl, das nicht leicht zu handhaben ist. Aber es kann nichts dabei herauskommen. Für uns beide gibt es keine Zukunft. Verstehst du das?“
Er konnte darauf nicht sofort antworten. Zu sehr stürmten die unterschiedlichsten Gefühle und Gedanken auf ihn ein. Er hatte jetzt eines seiner tiefsten Geheimni s se erkannt. Er hatte sich verändert, war abgekommen von der „Wie es kommt, so nehm ich’s“-Attitüde, die er bi s her zum Thema Liebe eingenommen hatte. Spaß und Spiel. Jetzt nicht mehr. Es war todernst. Aber für sie be i de gab es noch ein anderes Problem.
„Ist es wahr“, fragte er, „daß eure Liebesakte länger dauern als die unsrigen?“
„Du brauchst nicht taktvoll zu sein. Es ist wahr – lä n ger und häufiger. Beide Ler-Geschlechter haben die F ä higkeit, mehrere Orgasmen zu haben. Deshalb wäre es eine Grausamkeit, wollten wir es zusammen versuchen. Was käme dabei heraus? Du würdest meine Gefühle ze r stören und ich dein Interesse am Liebesspiel.“
Sie drückte genau das aus, was er dachte. Es war ein Dilemma, auf das er keine Antwort wußte. Er spürte die Spannung in der kleinen Hütte – das Verlangen, etwas zu tun. Noch nie zuvor waren sie dem so nahe gekommen, das schon die ganze Zeit zwischen ihnen keimte – so n a he, daß das alte Sprichwort zutraf: „Eine Schlange hätte zugestoßen.“ Er stand auf, sammelte das Geschirr ein und begann abzuwaschen. Während er sich an die Arbeit machte, verschwand Liszendir nach draußen; kurz darauf hörte er sie im Wasser des Flusses baden.
Nachdem er fertig war, kam sie in frischer Kleidung zurück und hing die alten Kleider zum Trocknen über die Leine. Dann ging auch Han, um sich im Fluß zu w a schen. Das eiskalte Wasser ließ ihn frösteln – doch nur die Haut; das Feuer, das tief in seinem Innern brannte, blieb ungelöscht. Die Nacht war ungewöhnlich kühl. Han erklomm die Spitze des nächstgelegenen Felsens und schaute auf die Ebene im Süden. Weit entfernt, fast u n sichtbar für das bloße Auge, zog sich ein Unwetter z u sammen, dessen Blitze mit dem schwachen Glanz der Hauptstadt konkurrierten. Bei den mäßigen Winden, die auf Chalcedon herrschten, würde es über Stunden seinen jetzigen Standort nicht ändern. Han beobachtete eine Weile das Wetterleuchten – zu weit, als daß der Donner ihn erreicht hätte. Dann kletterte er mit einem tiefen Stoßseufzer hinunter und kehrte zur Hütte zurück.
Als er sie betrat, nahm er den sanften Duft einer Frau wahr, die sich gerade gewaschen hatte – ein angenehm gr a siger und äußerst berauschender Geruch. Er zögerte nicht und mußte sich auch nicht vergewissern, was er füh l te.
„Liszendir …?“ Dann fragte er zärtlich: „ Liszen …?“ Ihr Liebes-Name klang seltsam, als er ihn aussprach.
Das Deckenknäuel in der Ecke entfaltete sich und en t hüllte eine weiße Gestalt im Dämmerlicht.
„Ich habe darauf gewartet, daß du das sagst“, sagte sie nur. Eine Weichheit war in ihrer Stimme, die er zuvor noch nie vernommen hatte.
„Liszen, ergreifen wir das Glück, so gut wir können.“
Er berührte die ruhige Gestalt, die glatte weiße Haut. Sie war kühl wie die Nachtluft, aber darunter brannte ein loderndes Feuer. Sie sagte etwas Zärtliches, Wörter, die sie über die Lippen hauchte, Sätze, die er nicht verstand: Multisprache. Er kniete neben ihr, seine Haut berührte ihren Oberschenkel. Er ahnte die Bedeutung der Worte. Sie klangen traurig, doch sie waren ein einziger Au s druck der Liebe, Zärtlichkeit und Leidenschaft.
Er fühlte, wie ihn das Verlangen
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