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Lesebuch für Katzenfreunde

Lesebuch für Katzenfreunde

Titel: Lesebuch für Katzenfreunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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weiß, kann ich es dir leicht erklären. Als wir zu Oma Harris kamen, wuchsen im Hof hinter ihrer Hintertür ein paar Narzissen, die welkten und verschwanden. Ein Jahr später erschienen sie erneut, welkten und verschwanden wieder. Und um die Zeit, als sie zum zweiten Mal wieder erschienen, begann unser Leben sich zu verändern.
    Im großen und ganzen waren es glückliche Jahre. Oma Harris wohnte in einem terrassenförmig angelegten Häuschen auf der Ostseite der Stadt. Im Parterre waren ein kleines Vorderzimmer, ein winziges Hinterzimmer und eine Küche. Im ersten Stock lag ihr Schlafzimmer und noch eines das immer leer blieb, ein Bad und im Bad jener Brunnen, auf dem die Menschen immer sitzen, um ihre Geschäfte zu erledigen.
    Heutzutage empfinde ich nicht mehr den Wunsch nach menschlicher Behausung, wie du sie hast, mein Katerchen. Ich bin ganz zufrieden, wenn ich irgendwo pennen kann, wenn mich die Müdigkeit überkommt. Bei warmem Wetter schlafe ich manchmal auf eurer Gartenmauer ein, während du und deine Mutter unten im Gras spielen. Wenn es regnet, gibt es genügend Gartenhäuser an der oberen und unteren Straße, in die ich mich flüchten kann. Einige Katzen, die ich kenne, übernachten in Garagen, aber mir wird ganz schlecht beim Anblick der Tötungsmaschinen, die dort aufbewahrt werden, und beim Geruch der Flüssigkeit, die die Menschen hineingießen. In sehr kalten Nächten, wenn die Welt weiß und hart wird und unsere Mutter der Nacht strahlend hell über uns scheint, dränge ich mich manchmal durch die Katzenklappe und schlafe in der Küche von Nummer zwölf und liege dort neben dem Wärmeschrank. Aber die Nacht ist nicht die Zeit zum Schlafen. Die Jagd ist nachts besser, und kein Fressen schmeckt so gut wie das selbstgefangene.
    Doch in jenen längstvergangenen Tagen waren mein Bruder und ich zufrieden, in Oma Harris’ Haus zu leben. Sie hatte schon früher eine Katze gehabt, die sie Sammy nannte, und ihr Schwiegersohn Jim hatte ihr eine kleine Katzenklappe in die hintere Tür gemacht, damit Sammy, ohne sie zu stören, in den Hof und wieder ins Haus gelangen konnte. In den ersten paar Monaten in ihrem Haus schloß sie uns nachts in die Küche ein. Als wir jedoch alt genug waren, ließ sie uns frei herumstrolchen, und wir begannen die Freuden der Jagd kennenzulernen.
    Mein Bruder war ein geschickter Jäger. Nie vergesse ich die Erregung, mit der wir eines frühen Morgens unsere erste Drossel fingen. Wir spielten im Hof, übten uns im Pfotenkampf, da erstarrte mein Bruder plötzlich und zischte mir zwischen den Zähnen zu: »Schau mal dort.«
    Auf der anderen Seite des Hofs, wenige Meter von uns entfernt, knackte ein feistes Drosselmännchen die Schale seiner Frühstücksschnecke. Es war ein prachtvoller Vogel mit geflecktem Federkleid auf der Brust und nußbraunen Rücken- und Schwanzfedern. Von der Aufgabe, das Schneckenhaus aufzuhacken, war er so gefesselt, daß er gar nicht bemerkte, wie wir ihn anstarrten. Du kennst ja diese Erregung – der ganze Körper vibriert vor Spannung, das Fell stellt sich einem auf, der Herzschlag beschleunigt sich, obwohl du, mein Enkel, noch zu impulsiv bist und so manche gute Gelegenheit verpaßt. Mein Bruder lehrte mich, wie wichtig absolute Regungslosigkeit und Geduld sind.
    Pick. Pick. Pick…
    Die Drossel wandte uns den Rücken zu. Keiner von uns sagte einen Ton. Wir verständigten uns schweigend. Genau im richtigen Augenblick sprang mein Bruder vor und hieb ihr mit ausgestreckten Krallen seitlich gegen den Kopf. Er war so flink gewesen, daß der Vogel noch immer die Schnecke im Schnabel hatte, als er umgeworfen wurde. Erst dann begann er zu flattern und zu piepsen, doch da war ich schon hinzugesprungen und hatte ihn in einen der Flügel gebissen, so daß er nicht wegfliegen konnte. Und nach der ersten Erregung der Jagd kam die köstliche Wallung des Blutrausches. Es ist ein herrliches Gefühl, das Wissen, daß man den Vogel vollständig in seiner Macht hat, die Gewißheit, daß man sich schon ganz bald an warmem, wirklich frischem Fleisch gütlich tun wird. In diesem Stadium wird der Wunsch, das Töten aufzuschieben, unwiderstehlich. Ich weiß, daß manche Menschen, insbesondere Kinder, diesen Teil der Jagd grausam finden. Die haben es nötig, von Grausamkeit zu sprechen! Nun, da ich alt bin und weiß, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind, finde ich das Vergnügen, das mein Bruder und ich am Quälen dieses Vogels empfanden, reichlich unschuldig. Er

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