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Lesebuch für Katzenfreunde

Lesebuch für Katzenfreunde

Titel: Lesebuch für Katzenfreunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
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versuchte, aufzufliegen, aber weil ich ihm den einen Flügel fast ausgerissen hatte, konnte er es nicht und flatterte immer mehr, je hoffnungsloser seine Lage wurde. Dann hüpfte er verzagt auf seinen sonderbaren, schuppigen Beinchen herum, bis mein Bruder ihm wieder einen Pfotenschlag versetzte. Ich wollte ihm eben die Zähne in den Hals schlagen, da sagte mein Bruder: »Noch nicht! Den lassen wir noch ein paarmal hopsen.« Wir wichen einen Meter zurück, um den armen dummen Kerl glauben zu machen, er sei frei – obwohl ich nicht weiß, was für eine Freiheit er noch zu haben meinte mit einem gebrochenen Flügel und zwei auf ihn niederblickenden jungen Katzen. Er versuchte über die Pflastersteine des Hofes zu hüpfen, wir stürzten uns erneut auf ihn, stießen ihn mit den Pfoten, knurrten und fauchten ihn an. Dann beschlossen wir ganz plötzlich, allem ein Ende zu machen. Als er schlaff und regungslos dalag, begannen wir unseren Schmaus. Das Blut schmeckte so köstlich, aber nach ein paar vorsichtigen Bissen (es war nicht zu vermeiden, daß auch ich ein paar Federn verschluckte) hielt mein Bruder inne.
    »Unser erstes Blut«, sagte er stolz. »Wollen wir es nicht der Alten sagen?«
    »Ob sie sich freut?« fragte ich.
    »Freut? Aber ganz bestimmt. Denk doch nur, wie sie sich gefreut hat, als Jim dieses, wie hieß es denn noch – dieses Beförderungsmittel bekam. Und als Tracy ihr Dingsda machte.«
    »Ihr Einjähriges«, sagte ich, denn wie du bemerkt haben wirst, habe ich ein gutes Gedächtnis für alles, was Menschen sagen.
    »Ja, dieses Dingsda«, sagte mein Bruder. »Du weißt auch nicht, was es ist, nicht wahr?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Also, jedenfalls gehört es zu alledem, was die Leute gerne machen, wie Geld kriegen oder Tötungsmaschinen kaufen.«
    »Na dann«, sagte ich, »sollten wir ihr unsere Drossel vielleicht zeigen.« Ich mußte ein bißchen husten, weil ich zu viele Federn verschluckt hatte.
    Mein Bruder nahm die steife, stille Drossel ins Maul und lief mir voraus durch die Katzenklappe ins Haus. Wir kamen durch die kleine, geflieste Diele, rannten die Treppe hinauf und blieben vor Mrs. Harris’ Tür stehen. Aus ihrem Zimmer hörten wir das laute Geräusch, das menschliche Wesen beim Schlafen von sich geben. Ich glaube, das kommt daher, daß sie nicht gleichzeitig schlafen und den Mund geschlossen halten können. Es sind schon seltsame Wesen!
    Mrs. Harris’ Tür war nur angelehnt, und ich schob sie mit der Nase auf. Mein Bruder hatte mich inzwischen vollkommen davon überzeugt, daß es wenig gab, was der alten Dame größere Freude bereiten würde, als frühmorgens geweckt und mit einem toten Vogel beschenkt zu werden. Daher sprang ich vertrauensvoll aufs Bett und fing an, meine Krallen ungeduldig in die Steppdecke zu schlagen. Sobald das Schnarchen aufhörte, schmiegte ich meine Nase an die ihre und sagte: »Wachen Sie auf, Mrs. Harris, Madame, Sie werden nie erraten, was wir Ihnen bringen…«
    »Mein Gott, was habt ihr denn schon so früh am Morgen zu miauen?« fragte sie. »Schon Hunger? All die guten Whiskas schon aufgefressen, die ich gestern abend hingestellt habe?«
    Da sprang mein Bruder aufs Bett und ließ die Drossel auf ihr Laken fallen, und wir traten stolz zurück und erwarteten ihre entzückten Glückwünsche.
    Aber siehst du, das ist der Punkt, an dem die menschlichen Wesen vollkommen unverständlich sind. Statt sich zu freuen, stieß Mrs. Harris einen kleinen Schreckensschrei aus.
    »Ihr seid mir zwei Schlimme«, sagte sie. Ganz empört schob sie sich mit den Ellbogen zwischen den Kissen hoch. »Arme kleine Drossel! Wie konntet ihr nur so grausam sein? Schmutzig ist sie außerdem, würde mich nicht wundern, wenn sie Flöhe und all so was hätte, wo doch die von vis-à-vis immer die Tauben füttert und es heißt, daß sie sogar im Haus Tauben hält, die Dreck und Flöhe reinbringen.«
    »Wir haben gemeint, es freut Sie«, sagte mein Bruder ganz niedergeschlagen.
    »Junger Mann, es nützt dir gar nichts, mich anzumiauen, ich bin dir sehr böse. Und dir auch«, sagte sie und drohte mit dem Finger. Ich hatte vorgehabt, meines Bruders Handlungsweise wortreich zu verteidigen. Ich hätte Oma Harris klargemacht, daß das ›erste Blut‹ eine der großen Heldentaten im Leben einer jungen Katze ist. Ich hätte ihr gesagt, daß auch die Menschen Fleisch essen, und obwohl ich nicht wüßte, wie sie es sich verschaffen, es mich nicht wundern würde, wenn sie Katzen dazu anstellten.

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