Lesereise - Afrika
Hungrig bleiben, das schon.
Ich kaufe Brot und sehe Ahmed, den Bäcker. Er hält es nicht aus, dass ich Schlange stehe, und bittet mich in seinen rußschwarzen Verschlag. Während ich eintrete, rennt er hinaus und holt einen Stuhl. Ich muss sitzen. Dann wieder hinaus für eine Tasse Tee. Ich muss trinken. Dann wetzt er zurück zu seinem Hochofen, jongliert mit den Teigfladen, fährt sie mit der langen Holzkelle ins große Feuerloch, holt das fertige Brot heraus und segelt es lässig zum Ladentisch. Von vier Uhr früh bis sechs Uhr abends steht er da. Seit vierzig Jahren. Sechs Mal die Woche schafft er zweitausendeinhundert Laib. Achtundfünfzig Jahre alt, sechs Kinder, eine Frau, sein Grinsen und die vom Mehlstaub weißen Brusthaare. Die Daten eines Heiligen.
Meine Bartstoppeln müssen weg. Friseurbesuche sind Vertrauenssache. Schließlich hält der Mensch eine Klinge an meine Gurgel. Ich finde Wail. Er ist mein Mann. Auf einem Quadratmeter Laden verdient er sein Leben. Kein Kunde wartet. Er selber sitzt auf dem Rasierstuhl und streichelt eine Ziege, die auf seinem Schoß sitzt. Wail rasiert wie ein Weltmeister. Von unten schaut das Tier. Unduldsam und drängend. Blitzschnell und fehlerlos schabt Wail mich glatt. Die beiden wollen mich loswerden, wie offensichtlich. Als er eilig nach draußen geht, um Wechselgeld zu besorgen, meckert sie hinter ihm her. Könnte sie heulen, sie würde augenblicklich loslegen.
Eine Stunde später schleiche ich nochmals vorbei. Um herauszufinden, ob ich recht habe. Kein Zweifel. Wail sitzt wieder auf dem Stuhl und die Ziege wieder auf seinem Schoß. Und er streichelt sie, aber wie. Der Friseur und die Ziege, das ist ein Verhältnis. Love is a many splendid thing.
Abdul schleppt mich ab, in den familieneigenen Betrieb, den Palace of Thousand Flowers. Und tausend Parfums duften, Secrets of the Desert und Black Narcissus und Forever Young. Aber Abdul und seine Brüder haben keinen Charme, sie machen Druck, produzieren schlagartig dieses kalte Desinteresse, wenn der Kunde zwei Mal nein sagt. Aber ich lüge gern, sage zwei Mal ja: »Ja, morgen werde ich meine Frau mitbringen.« Sie wäre haltlos vor jedem orientalischen Geruch, würde blindlings nach Börse und Scheck greifen. Ich will keine kalten Gefühle, halte mich an den weisen Karl Kraus, der nie verstanden hat, warum jemand ohne Not die Wahrheit sagt.
Durch den Khan el-Khalili Basar, riesig, verschlungen, hinter jedem Eck eine Überraschung. Und diesmal erwischt es mich. Denn Fahti hat ein Auge auf mich geworfen. Und der Typ hat ein schnelles Lächeln, verrät sogleich: »You are something very special.« Nicht wie all die anderen. Er weiß umgehend Bescheid: »I saw you, I knew you.« Fahti gilt als das gerissenste Schlitzohr in der Gegend und sein bravouröser Eröffnungssatz dient als erste Breitseite, um den potenziellen Kunden weichzuklopfen. Nach siebzehn Umwegen hat er mich dorthin manövriert, wo er mich haben will: In seinen Box Shop, einem Sammelsurium verschiedener kleiner Holzkistchen.
Sieben »Golden Books« liegen herum. Die Odensammlung einer höchst zufriedenen Kundschaft. Bevor ich durchblättern darf, erwähnt Fahti schnell und vertraulich, dass eine »letzte handgearbeitete Originalschatulle noch vorrätig« sei. Ich blättere und sehe lauter fotografierte Opfer mit letzten handgearbeiteten Originalschatullen. Daneben ihre fröhlich gekritzelten Dankschreiben. Fahti, der Verführer. Er lächelt bescheiden, sein Verkaufsgenie ist beachtlich. Siehe Martin B. aus Berlin, er gesteht: »Zuerst dachte ich, mein Gott, wieder einer dieser Schlepper, aber einer kleinen Box konnte ich nicht widerstehen. Doch jetzt kann ich echt nichts mehr schleppen.«
Ich bleibe eisern, obwohl Fahti jedes Register zieht und zu allen Mitteln greift, um mich zu versuchen. Tee gibt es, die Wasserpfeife, drei Runden Hasch, zwei letzte Sonderangebote, einen Spezialkredit und das Versprechen, ein Kästchen, gegen Anzahlung, aufzuheben. »And all creditcards accepted«, besser: »all currencies accepted.« Und der bedrohliche Hinweis, dass die letzte handgearbeitete Originalschatulle in einer Stunde weg sein könnte.
Das ist geschwindelt, denn um diese Zeit sitze ich noch immer auf dem Sofa, jetzt blau wie Fahti, der irgendwann seinen Dattelschnaps hervorholte. Zuletzt tränen uns die Augen, im »Golden Book Number Five« entdecken wir Doris L., die begeistert hinschreibt: »Viel Glück gehabt. Beim freundlichen Fahti, der auch Deutsch
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