0297 - Der Verräter
Ich legte mich zunächst flach auf den Boden, wobei ich die Lampe zwischen die Zähne steckte und der Strahl bei meinen Bewegungen auf- und niedertanzte.
»Wer sind Sie?« fragte ich, nachdem ich die Lampe wieder aus dem Mund genommen hatte.
Sie verstand mich nicht.
Auch egal. Jedenfalls konnte ich sie nicht dort unten lassen, denn wer wußte schon, welche Gefahren diese Gruft noch in sich barg.
Meinen rechten Arm hatte ich in die Tiefe gestreckt und auch die Hand ausgestreckt. Mittlerweile hatte ich die Entfernung zwischen uns gut abschätzen können und war zu der Überzeugung gekommen, daß es reichen mußte, wenn ich meinen Arm ausstreckte.
Unsere Hände berührten sich.
Nur die Fingerspitzen fanden Kontakt. Wenn ich die gesamte Hand umfassen wollte, mußte ich nachrücken.
Das tat ich auch.
Dabei redete ich auf die Frau ein. Obwohl sie meine Worte nicht verstand, hoffte ich, daß eine beruhigende Wirkung von ihnen ausgehen würde und die Eingeschlossene mich nicht als Feind sah.
»Bleiben Sie ganz ruhig. Wir schaffen das schon. Wir beide müssen uns nur Mühe geben…«
Manchmal berührte der hüpfende Lichtstrahl direkt das bleiche Gesicht. Dann erkannte ich die Angst in den Zügen, die auch in den weit geöffneten Augen nistete.
»Fassen Sie ruhig fester zu!« Ich sagte es ihr und drückte gleichzeitig meinen Arm noch weiter vor.
Wieder fanden sich nur unsere Fingerspitzen.
Das konnte ich nicht begreifen. Da stimmte doch etwas nicht. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als wäre die Frau weiter von mir weggerückt. Aber wie konnte sie das innerhalb dieser Gruft?
Es war dennoch möglich.
Der Boden trug daran die Schuld. Als ich ihn direkt anleuchtete, wobei ich die Lampe in der linken Hand hielt, erkannte ich, daß er nicht fest war. Er bildete zwar eine dunkle Masse, doch eine Masse, die sich bewegte.
Ich hielt den Atem an.
Lange brauchte ich nicht zu überlegen. Die Bewegung des Bodens ließ nur einen Schluß zu.
Er bestand aus Sumpf oder Morast.
Zäh und wie aus zahlreichen Armen bestehend.
Und dieser Boden trug daran die Schuld, daß die Frau vor mir von dem Boden in die Tiefe gezerrt wurde. Wenn ich sie noch retten wollte, mußte ich mich beeilen.
Das tat ich.
Es kam auf Sekunden an. Ich rückte noch weiter vor und hatte fast den Kipppunkt erreicht, als ich erst anhielt. Jetzt ragte meine Hand senkrecht und vom Körper im rechten Winkel abstehend in die Tiefe.
In der Linken hielt ich die eingeschaltete Lampe. Das Gesicht der Frau hatte sich noch mehr verzerrt. Sie wußte genau, daß ihr nur noch wenig Zeit blieb, ebenso wie mir.
»Halten Sie durch!« flüsterte ich, »Sie schaffen es bestimmt. Gemeinsam packen wir es.« Ich hoffte stark, daß sie den Optimismus begriff, der in diesen Sätzen lag.
Sie hatte beide Arme gehoben und ihren Körper gestreckt.
Aber der Boden zog!
Aus 1000 gierigen Armen und Händen schien er zu bestehen, die allesamt Füße und Beine der Frau umklammerten und sie in einen Abgrund zerren wollten, aus dem es keine Wiederkehr gab.
Ich strengte mich an. Noch ein kleiner Ruck, dann schlossen sich plötzlich meine Finger um die Hand der Frau.
Ich hatte sie!
Leider war mir erst ein Teilerfolg vergönnt, denn nun mußte es mir gelingen, sie aus dem verdammten Morast zu ziehen, und das war gar nicht einfach.
Ich begann zu kämpfen.
Meine Kraft gegen die des Morasts.
Es war ein verzweifeltes Ringen um den Erfolg. Ich strengte mich ungeheuer an. Mein Atem ging keuchend und pumpend, er dampfte vor meinem Mund, und ich betete innerlich, daß ich es schaffte.
Der Boden war zäh.
Verschlammt, verkrustet, er wollte sich sein Opfer nicht entreißen lassen, das ich ebenso eisern festhielt.
Es kam darauf an, wer die meisten Kräfte von uns beiden besaß.
Ich kämpfte verzweifelt. Meine Finger umspannten das Gelenk des Mädchens wie Stahlklammern. Wenn ich jetzt losließ, würde ich es nie mehr schaffen, die Frau zu befreien.
So machte ich weiter.
Und ich erzielte einen Erfolg. Es gab einen Ruck, der mich zunächst ein wenig nach oben, dann wieder vor warf, so daß ich für einen Moment das Gefühl hatte, in die Tiefe zu fallen, doch es gelang mir, mich mit dem linken Handballen am Rand der Gruft abzustützen.
In diesem Moment hatte ich den sehr schwierigen Punkt überwunden. Ich schaffte es tatsächlich, die Frau aus dem gierigen, schwarzen Morast zu ziehen.
Sie kam mir entgegen.
Stück für Stück wurde sie in die Höhe gezogen, wobei ihre Beine noch im
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