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Lesereise Backsteinstaedte

Lesereise Backsteinstaedte

Titel: Lesereise Backsteinstaedte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Soden
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Tulpen, Nelken, Rosen, um die man das Summen von Bienen zu vernehmen glaubte, fertigte er als »Papierschnitzwerk« an. Bis ins Erwachsenenalter frönte Runge dieser Leidenschaft.
    Der strenge Vater, Daniel Nikolaus Runge, betrachtete das künstlerische Talent mit Skepsis, strebte als Reeder für seinen Spross eine kaufmännische Laufbahn an, wohingegen die schöngeistige Mutter, Magdalena Dorothea, ihrem neunten Kind (elf Kinder hatten Runges insgesamt) in einem innigen Verhältnis zur Seite stand, es unterstützte, wo sie nur konnte, zumal Philipp Otto von Geburt an körperlich schwach und anfällig war. Von trockenem Husten und beängstigendem Fieber geplagt, musste der Junge wochenlang das Bett hüten. Leichenblass lag er zuweilen da. »Als die Mutter mich sah, ergriff mich eine schreckliche Angst, ich fiel ihr heftig um den Hals und drückte sie in der Todesangst …« Der Rektor der Wolgaster Knabenschule, Ludwig Gotthard Kosegarten, sorgte sich um Philipp Otto, schaute oft vorbei und gab ihm, sofern es der Gesundheitszustand erlaubte, Hausunterricht. Der Theologe und Dichter, der ab 1806 als Pastor auf Rügen wirkte und im Fischerdorf Vitt seine legendären »Uferpredigten« gehalten hat, schätzte Philipp Otto Runge, erkannte seine Fähigkeiten, blieb ein lebenslanger Freund.
    Nach langen schweren Krankheitsjahren verließ Runge mit achtzehn Jahren Wolgast und zog nach Hamburg zu seinem Bruder Daniel, der dort eine Kommissions- und Speditionshandlung besaß. Dem Votum des Vaters folgend, trat er bei ihm eine Kaufmannslehre an. Indes verlangte Daniel nicht, dass sich Philipp Otto von morgens bis abends mit Zahlenkolonnen der Bilanzbuchhaltung befasste. Vielmehr setzte er sich für sein künstlerisches Fortkommen ein, finanzierte ihm tägliche Zeichenstunden und erreichte endlich aus der fernen Heimat die Einwilligung zum ersehnten Kunststudium. »Lieber Vater, ich danke Ihnen von ganzem Herzen«, schrieb Philipp Otto 1798 postwendend nach Wolgast, »wenn man das ergreift, wozu einen die Natur treibt, so thut man seine Pflicht.«
    Von Kopenhagen, Dresden und zum Schluss wieder Hamburg kehrte Runge mehrere Male nach Wolgast zurück. Zuerst 1801, als er in Greifswald auch Caspar David Friedrich kennenlernte. Um diese Zeit lebte Runges Familie nicht mehr hinter der Stadtmauer am Hafen, wo Philipp Otto am 23. Juli 1777 geboren worden war, sondern in der Burgstraße, dem Quartier der wohlhabenden Wolgaster Kauflaute. Zu einem solchen war Vater Runge mit seinem Schiffsbau und zusätzlichem Holzhandel avanciert. Und so konnte er sich Grund und Boden leisten. Das großzügige Haus in der Burgstraße 8 mit seiner Barockfassade und dem originalen Boden aus Gotlandplatten in der Eingangshalle gibt es noch. Ebenso das Nachbarhaus, das sich Philipp Ottos Bruder Jacob im Jahre 1800 mit Kontor, zwei Wohnetagen und Speicher erbauen ließ. Erstaunlich, dass sein Stralsunder Fayenceofen noch lebt! Und mindestens so erstaunlich, dass auch die Runge’sche Gartenlaube von 1763 auf der Rückseite des Doppelgrundstücks noch existiert. Hier werkelt seit einer Weile ein Wolgaster Unikum: der weithin bekannte Grafiker Clemens Kolkwitz. Eine ausrangierte Wäschemangel, die er im Keller fand und die wohl ein ganzes Jahrhundert auf dem Buckel hat, funktionierte der ehemalige Kantor in eine Tiefdruckpresse für seine Radierungen um. Jeder, der zu ihm hineinstolpert, wird mit den Worten empfangen: »Gestatten, Runge!«
    Karawanen von Ostseeurlaubern auf dem Weg über die Peenebrücke nach Usedom ziehen am schönsten Ort in der Stadt vorbei: dem Geburtshaus von Philipp Otto Runge. Ja, auch das lebt noch! Bis zum letzten Akt des deutschen Historiendramas 1989 hatten in den kleinen niedrigen Räumen zwei Familien gewohnt. Höllisch passten sie darauf auf, dass die barocken Türen und die Holzdielen von 1760 mit den originalen Scheuerleisten unversehrt blieben. Dennoch war eine Grundsanierung vonnöten, an die sich die Frage anschloss: Was tun mit dem Haus? Dass es als Museum genutzt werden sollte, war von Anfang an klar. Ein nicht unerhebliches Problem bestand jedoch in dem Fakt, dass es in Wolgast kein einziges Gemälde von Philipp Otto Runge gab, weder in privatem Besitz noch in der »Kaffeemühle«, dem historischen Museum der Stadt. Der Großteil von Runges Werk befindet sich in der Hamburger Kunsthalle. Schon 1905 war dessen erster Direktor, Alfred Lichtwark, nach Wolgast gepilgert, um die noch auffindbaren Schätze einzukassieren, wie

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