Lesereise Backsteinstaedte
der Klosterruine Eldena. Süchtig nach Literatur, nach Geschichte und Philosophie, gelang es dem Schulabbrecher schließlich sogar, als Gasthörer der Greifswalder Universität an Vorlesungen teilzunehmen. Und da er beim Direktor der Universitätsbibliothek einen Stein im Brett hatte, erfüllte sich sein größter Traum: Man schloss ihm den Tempel auf! Der Schmetterling schwirrte auf und davon …
Im Café Koeppen steht nicht nur Koeppens »Jugend« im Regal, nicht nur seine Trilogie, es gibt auch Biografien, Broschüren, Bildbände, die vom Leben jenes Mannes erzählen, der sich als Romanfigur empfand und »Monologe gegen die Welt« geführt hat. Die schönste unter diesen Publikationen ist ein ziegelrotes bibliophiles Heft mit einem sehr persönlichen Feuilleton über Koeppens Greifswalder Zeit und schwarz-weißen Fotos der Berliner Fotografin Angelika Fischer, die sich im heutigen Greifswald auf die Suche nach Koeppens einstigen Orten gemacht hat: den Eingang zur alten Universitätsbibliothek, die Buchhandlung, die Klosterruine Eldena vor den Toren der Stadt und stille Winkel auf dem alten Friedhof, wo bis vor einer Weile noch das Grab seiner Mutter lag. Maria Köppen starb 1925 mit vierundvierzig Jahren an einem Hirntumor. Ihren Sohn erreichte die Nachricht in Berlin. Sein letzter Faden zu Greifswald war durchtrennt.
1985 stand Wolfgang Koeppen nach einem halben Menschenleben wieder auf dem Greifswalder Markt. »In meiner Stadt war ich allein«, schrieb er in seiner »Jugend«. »Ich hatte kein Ziel.« Als Junge legte er sich auf die Straße, »lang vor die Türen«, setzte er sich auf die Stufen der Denkmäler »toter Männer«, streckte er sich »ins Gras der Verschönerungen, dem Schutz der Bürger empfohlen«. Der Anlass, dass er nun, fast achtzigjährig, die Stadt besuchte, war eine Lesung im Osten Berlins. Der veranstaltende Verlag Volk und Welt hatte Wolfgang Koeppen einen Wunsch erfüllen wollen. Greifswald, bat er.
Staunend wanderte Koeppen durch die Stadt, lesen wir in jenem Feuilleton, es erschreckte ihn der heruntergekommene Zustand. Doch es gab noch die Hunnenstraße mit ihrem Katzenkopfpflaster. Und noch immer führte sie zum Hafen hinab. Der »Sommerdampfer nach Wiek«, der »Sonntagsdampfer nach Rügen«, die schweren Kähne mit Kartoffeln, mit Heringen, mit Korn – das alles indes gehörte der Vergangenheit an. Und sein Geburtshaus in der Bahnhofstraße 4? Verwahrlost, verfallen.
Es war Günter Grass, der den Abriss in letzter Minute verhinderte. Ein warnender Artikel in der Ostsee-Zeitung im Jahr 2000 hatte ihn auf das drohende Ende des Hauses aufmerksam gemacht. Rasch wurden die nötigen Gelder organisiert, eine Stiftung gegründet, für ihren Vorstand gewann Grass Kollegen wie Peter Rühmkorf und Ingo Schramm. Bis auf die Fassade, nur sie konnte gerettet werden, erhielt Koeppens Geburtshaus 2002 ein völlig neues Interieur, hell und einladend und neben dem Café und Archiv ausgestattet mit einer Galerie. Im letzten Raum befindet sich das »Münchner Zimmer«. Nach Koeppens Tod 1996 trat es die lange Reise von Bayern nach Vorpommern an. Angedeutet nur mit ein paar Utensilien wie Schreibtisch, Sessel, Bücherschrank, Schreibtischlampe, Schreibmaschine und Resten seiner Zeitungsmassen – ohne musealen Touch.
Höchst eigenwillige Veranstaltungen finden seither im Koeppenhaus statt, »TresenLesen«, Schreibwerkstätten, Jazz-Abende, Vorträge. Zur Institution wurden die »Greifswalder Koeppentage«, die Jahr für Jahr am Geburtstag des Junikindes starten und sich eine Woche lang mit seinem Schaffen befassen – mit Wolfgang Koeppen, Ehrendoktor der Greifswalder Universität, der in seiner Jugend Greifswald hasste.
Sehnsucht nach Rügen
Caspar David Friedrichs Reiseskizzen
Doch, doch, Sie sind völlig richtig! Oder wollten Sie nicht in die ehemalige Seifensieder- und Lichtgießerwerkstatt, wo der alte Friedrich, Vater Adolf Gottlieb, jenes wachsartige harte Fett namens Talg in riesigen Kupferkesseln kochte und beißender Dampf bis hinaus auf die Greifswalder Gassen kroch? Die Nachbarn um den Kirchplatz von St. Nikolai störte das nicht. Außerdem waren fast alle von ihnen Kunden in Friedrichs Geschäft in der Langen Straße im vorderen Trakt, wo es die Seifen in Form von Muscheln oder Veilchen oder der schwedischen Krone und die Kerzen in verschiedensten Sortimenten zu kaufen gab. 1901 brannten große Teile des Hauses ab. Ein Jammer. Denn dort wurde Caspar David Friedrich 1774 geboren,
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