Lesereise Backsteinstaedte
von ihm beispielsweise das heutige Pommersche Landesmuseum. Quistorps Kurse speziell im Freihandzeichnen und das Arbeiten nach Modellen waren rappelvoll, auch von Gasthörern anderer Disziplinen. Vier Jahre lang hatte Caspar David Friedrich sein Können bei Quistorp geschult, bis er 1794 auf dessen Empfehlung an die Kopenhagener Kunstakademie gegangen war. 1798 wechselte er an die Dresdener Akademie. Die Landschaftsmaler der Elbestadt reizten ihn, und unbedingt wollte er die berühmten Gemäldesammlungen kennenlernen.
Seine erste Rügenreise trat Friedrich 1801 an, als er von Dresden aus seine Familie in Greifswald besuchte. Die Insel zog damals eine ganze Generation von Dichtern, Denkern, Komponisten, Künstlern in ihren Bann – Ernst Moritz Arndt, Henriette Herz, Adelbert von Chamisso, Karl Friedrich Schinkel, Clara Schumann oder die Wunderhornknaben Clemens Brentano und Achim von Arnim. Sie alle waren ergriffen von der gewaltigen Natur, ihrer Wildnis, den Buchenhallen, den schroff abfallenden Felsküsten, dem blauen, zuweilen unheimlichen Meer. Schon 1796 war auch Wilhelm von Humboldt nach Rügen gereist, in seinem Tagebuch schwärmt er von einem Ausflug nach Stubbenkammer vom »schauervoll heiligen« grünen schattigen Wald. Und Friedrich Preller d. Ä., dessen Leidenschaft Italien galt, wo er sich, ermuntert von Goethe, mehrere Jahre lang zum Malen aufgehalten hat, befand nach einer Rügenreise 1837, dass er in Zukunft »wohl nur hier« seine Studien machen werde, denn reicher habe er nie ein Land gesehen, »selbst Italien nicht!« Die mystische und noch kaum entdeckte Insellandschaft ließ auch Caspar David Friedrich, nachdem er sie 1801 zum ersten Mal gesehen hatte, nicht mehr los. Und während er seine ersten Skizzen fertigte, fühlte er, wie wichtig es für ihn war, beim Zeichnen allein zu sein, um alles »vollständig schauen« zu können. »Ich muss mich dem hingeben, was mich umgibt, mich vereinigen mit meinen Wolken und Felsen, um das zu sein, was ich bin.«
Im Greifswalder »Atelier« wird eine handverlesene Auswahl von Friedrichs Rügenskizzen präsentiert, in seinem typischen Stil aus feinsten Konturen, Licht und Schatten und filigranen Schraffuren, jedes Blatt mit genauem Datum versehen, worauf er bei seinen Gemälden weitgehend verzichtete. Die meisten Skizzen sind in Sepia, jener rotbraunen Tusche, die sich lasierend über die Zeichnungen legt, meisterhaft gelungen im »Blick auf Arkona mit aufgehender Sonne« (um 1803) – das Werk könnte im Anschluss an seine Rügenreise im Jahre 1802 geschaffen worden sein. Indes haben Forschungen erbracht, dass sich Caspar David Friedrich weder streng an Zeiten noch an Orte hielt, sondern sich bei jedem neuen Bild aus dem Fundus seiner Skizzen heraussuchte, was ihm ästhetisch und vom Motiv her gefiel. Und genau diese Montagetechnik vermittelt das Greifswalder Zentrum in seinem »Atelier«. So zum Beispiel auch in Friedrichs Bleistiftzeichnung »Blick zur Insel Vilm« (1801). Jene urwüchsige Insel vor Rügen, die er zunächst in sparsamen Umrissen festgehalten hat, zeichnet er 1809 mit Sepia voller Details, bis er sie 1810 auf seinem berühmten Ölgemälde »Landschaft mit Regenbogen« mit ungeheurer Tiefe und Leuchtkraft ausgestaltet.
Zu einer Art Polyglott der Rügenromantiker wurden damals Johann Jacob Grümbkes »Streifzüge durch das Rügenland« (1806) – eine hymnische und zugleich durchgeistigte Inselbeschreibung, die gewiss auch Caspar David Friedrich angesprochen hat. Vielleicht hatte er das Buch des fast Gleichaltrigen, der auf Rügen geboren, in Greifswald zur Schule gegangen und später als Privatgelehrter der Jurisprudenz auf die Insel zurückgekehrt war, auf seinen Rügenwanderungen sogar in seiner Tasche stecken. Denn zur Orientierung auf der zuweilen urwaldähnlichen Insel, die damals noch nahezu menschenleer war, bot es mit seinen Wegesangaben nützliche Hilfen. Zudem haftete den Schilderungen eine Ehrfurcht vor der Schöpfung an, wie sie auch Friedrich besaß, und wie der »Bildner« suchte Johann Jacob Grümbke auf der »Zinne dieses blendenden Riesentempels, vor diesem ungeheuren Lasierspiegel des Meeres« die Stille, damit sich das »Gemüt sammle«, seine »innersten Tiefen belausche« und eindringe in das »verborgene Leben der unendlichen Welt«. Schon früh begann Caspar David Friedrich, die Horizontlinie auf seinen Bildern immer tiefer zu setzen, als wollte er mit dem Jenseits Tuchfühlung aufnehmen. »Der Mönch am Meer«
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