Lesereise Finnland
einer Klappe. Sehr merkwürdig, dieser Finne.
Wenn kein Fremder zuschaut, steigt der Finne gerne hüllenlos zum Fisch. Er badet mit Vorliebe nackt in seinen vielen Seen, solange allenfalls Freunde oder Verwandte Zeugen sind. Der Finne ist freizügig, aber nicht exhibitionistisch. FKK -Strände findet er merkwürdig. Man weist extra Sandstücke aus, wo fortan sämtliche Haut der Sonne und den anderen gezeigt werden darf. Da tummeln sich dann alle, die das tun wollen – statt sich einfach dort auszuziehen, wo niemand ist oder wo man gerade Lust hat, nackt zu baden. Finnland hat fast keine FKK -Strände, und die wenigen, die es an der Ostsee gibt, sind Zugeständnisse an den Fremden, der den Finnen im Sommer mit Zelt oder Campinganhänger besuchen kommt. Wann eigentlich Badesaison an der Ostsee ist, wird der Finne manchmal gefragt. Er muss dann lange nachdenken. Letztes Jahr war es an einem Dienstag.
Für den Finnen ist der Begriff Einsamkeit nicht negativ belegt. Er liebt sie und empfindet es im Gegenteil als unnötige Nähe, am anderen Seeufer noch jemanden zu entdecken. So etwas wäre vielmehr ein Indiz von erschreckender Überbevölkerung. Käme es öfter vor, müsste er über den Wegzug nachdenken. Nickt der andere einen Gruß herüber, ist das okay. Winkt er, ist das ein viel zu direkter Eingriff in die Privatsphäre.
Der Finne hat nichts dagegen, wenn Fremde für eine Nacht auf seinem Grundstück zelten. Dafür hat er das Jedermannsrecht erfunden. Nur außer Sichtweite seines Hauses sollen sie bleiben, damit er sich nicht eingeengt fühlen und ärgerlich werden muss.
Im Winter schlägt der Finne Löcher ins Eis, in die er sich ohne Hose stürzt, nachdem er sich vorher für eine halbe Stunde in eine verqualmte, überheizte Hütte im Wald gehockt hat, die er Rauchsauna nennt und sehr liebt. Diese Hütte stinkt mehr als alle Zigaretten aus den zollfreien Schiffsshops zusammen, aber weil das Tradition ist und man hinterher in den See darf und beides zusammen gesund sein soll, ist das okay.
Beide, Finne und Finnin, singen gerne auf ihren Festen und es ist allen egal, ob die Stimmen kirchenchorerprobt und opernbühnengeeignet sind. Gemeinsam mit vielen Freunden wird einmal im Jahr zu Mittsommer am besten auf den Wiesen am Ortsrand gefeiert – das Licht, der längste Tag, die kürzeste Nacht, der Höhepunkt des Sommers. Und obwohl es gerade ausnahmsweise hell und einigermaßen warm ist, hat der Finne Spaß daran, zu Mittsommer riesige Lagerfeuer anzuzünden, die die Seele zusätzlich wärmen. Ein alter Brauch regelt, dass es nach jeder Strophe der sommerlichen Lagerfeuerlieder einen Schnaps gibt. Das steigert die Motivation, alte Bräuche nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ist der Finne jung oder sind seine Hormone in Sommerwallung, sucht er sich in dieser Nacht gerne eine Finnin, die möglichst auch jung sein sollte. Je nachdem, wie viel sie getrunken haben und wie schwungvoll bereits gefeiert wurde, verschwinden die beiden irgendwann Hand in Hand im Heu, im nächsten Wäldchen oder bleiben einfach auf der Wiese, wo sie sich eilig noch näher kommen. Gemeinsam sind sie dann überglücklich, weil noch viele Monate vergehen, bis sie wieder Eislöcher in ihre Seen hauen.
Die vergessene Insel der Mönche
Nach Valamo im Ladoga-See
An lange verschlossene Welten muss man sich vorsichtig herantasten. Manchmal auf Umwegen. Diesmal sind sie geradliniger als der vermeintlich direkte Weg. Sie führen über Finnland quer durch die Wälder Kareliens nach Russland – in eine Gegend, die bis zum Winterkrieg 1939/40 zu Finnland gehört hat und deren Verlust die finnische Seele nie ganz verwunden hat. Sie führen zuerst ins ostfinnische Städtchen Iisalmi diesseits der Grenze, wo Pater Elias Huurinainen wohnt und den Weg nach Osten gebahnt hat.
Über Schlaglochpisten soll es von dort aus hinein ins Riesenreich des mächtigen Nachbarn nach Sortavala am Ladoga-See gehen, weiter per Boot auf die Klosterinsel Valamo. Noch bis Mitte der neunziger Jahre war sie für Ausländer striktes Sperrgebiet, und könnte man »Einreiseverbot« steigern, dann hätte für Finnen ungefähr so etwas wie »am einreiseverbotensten« gegolten. Die Russen wollten es so, denn bis 1940 war die Klosterinsel im Ladoga-See finnisch und ein Zentrum der Orthodoxie, ein Konstantinopel der Kirche des Nordens. Tausendeinhundert orthodoxe Mönche lebten damals auf dem weltfernen Eiland mitten im größten See Europas. Heute sind es nur noch ein paar
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