Lesereise Friaul und Triest
reines Vergnügen, denn die belin ist ein hässliches, dreckiges Weib, so will es die Überlieferung. Ein Initiationsritus, so Anthropologen. Das Fest wird immer noch am 5. Januar jeden Jahres gefeiert, der »Orsh vander Belin«, wie es heißt.
Seit einigen Jahren ist auch in Sauris der Tourismus eingezogen, die Gäste staunen über das fremdartige Brauchtum. Es lebt weiter, ohne vollends zur Folklore verkommen zu sein. Die Faschisten hatten auch Karnien zu italianisieren versucht und alle Minderheiten unterdrückt. Damals galt es, sich zu assimilieren. Man schämte sich für die eigene Sprache und die altmodischen Kulte. Besonders die Bewohner der beiden Sprachinseln Sauris/Zahre und Timau/Tischlwang duckten sich. »Es fehlen die Börtlan in unsere Schprach«, hieß es. »Sie isch ein Dialetto, nit proprio edle deitsche Schprach.« Und so ist’s wohl auch: Eine Sprache ohne Schnörkel, geradlinig, manchmal hart. Wie auch anders, bei einem Leben wie diesem?
Inzwischen steht man wieder zu sich. Die Bevölkerung der Zahre nimmt leicht ab – zuletzt zählte man nur noch vierhundertneunzehn Einwohner –, doch der Wille ist gewachsen, zu den Wurzeln zurückzugehen. Es gibt das Zahre-Haus, ein kleines Museum für Volkskunde, dazu den Kulturverein, den Chor und die Zeitschrift De Zahre reidet . Webereien suchen an die alten Traditionen anzuknüpfen, Tischler und Schnitzer setzen das Handwerk ihrer Väter und Großväter fort, auf den Almen entstehen Kuh- und Ziegenkäse, formaggio salato und ricotta affumicata . Der Sommer ist kurz. Das Heu für den Winter muss eingeholt und Holz geschlägert werden, man muss Kartoffeln, Rüben und Getreide setzen, ernten und lagern. Im Winter ist es ruhiger, doch da kommen die Langläufer, Rodler und Tourengeher und sitzen des Abends in den Stuben. Wirklich still ist es im späten Herbst, da bleiben die Einheimischen unter sich. Die Bänke und Tische in der Speckstube, dem Dorfwirtshaus, sind aus Holz. Man mag nicht mehr aufstehen. Seit ein paar Jahren braut man in Sauris ein eigenes Bier, das Zahrebeer. Ein kleiner roter Teufel sitzt am Etikett, doch er steckt auch in jeder Flasche, in jedem Glas und grinst.
Nach so einem Abend in der Speckstube wird der Heimweg lang. Viele der Höfe liegen weit verstreut auf dem Plateau und den Hängen, einen guten Fußmarsch vom Kirchdorf entfernt. Mond und Sterne weisen den Weg. Und die vierzehn Engel den Traumpfad ins Paradies.
Gepet – Vierzan Eingln
In Göttas nome haint gei schlofn;
vierzan Eingln vieri mit mier;
zbeana pame koupfe,
zbeana pan viesse,
zbeana ander gerechtn saite
zbeana ander geteinkn saite,
zbeana as mi deiknt,
zbeana as mi beiknt,
zbeana as mi viernt
iber himblische Paradais.
Omen
Die Autorin
Susanne Schaber, 1961 in Innsbruck geboren, Studium der Germanistik und Anglistik. Sie hat als Dramaturgin gearbeitet, Ausstellungen konzipiert und lebt heute als Literaturkritikerin und Reiseschriftstellerin in Wien. Im Picus Verlag erschienen ihre Lesereisen Engadin, Tirol, Venetien und Pyrenäen.
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Friaul/Triest
Susanne Schaber, Lesereise
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