Lesereise Nordseekueste
Wenn dann auch noch die Eltern bleiben – umso besser.
Ein paar Stunden zuvor. Zwölf Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren haben sich zu einer Führung durch die aktuelle Ausstellung angemeldet. Bevor sie sich der Kunst nähern, prüft Inka Wümkes, die das Angebot an diesem Nachmittag leitet, das Basiswissen. »Kennt ihr den Henri Nannen?« Kopfschütteln bei den meisten. Außer bei dem achtjährigen Marten: »Das ist der Gründer der Kunsthalle.« Und der Gründer des Stern , aber das können die Kinder nicht wissen, das war lange vor ihrer Zeit. Über drei Jahrzehnte war Nannen Chefredakteur des einst erfolgreichsten Magazins in Deutschland. Fast ein wenig ehrfürchtig stehen die Kinder vor seiner Büste im Foyer.
Inka Wümkes verteilt kleine Kärtchen. Darauf steht: »Das sieht traurig aus.« – »Das finde ich blöd.« – »Das lässt mich träumen.« Die Aufgabe für die Kinder: durch die Kunsthalle stromern und ein dazu passendes Bild suchen. Sich von den Gefühlen leiten lassen, das war schon das Credo von Henri Nannen: »Ich habe immer nur gesammelt, was Lust in mir erweckt hat – oder was mich bis unter die Haut schmerzte –, was mich freute, aber auch wütend machte.« Es dauert keine drei Minuten, und die Kinder haben ihre Wahl getroffen. Daniel, neun, ist begeistert von der Farbenpracht eines Alexej von Jawlensky. Marieke, sechs, wiederum entscheidet sich für ein Hauptwerk des Expressionisten Otto Müller: »Knabe vor zwei stehenden und einem sitzenden Mädchen«. Das findet sie »witzig, weil die nackig sind«. Ein wenig unschlüssig stehen die Kinder vor der zeitgenössischen Kunst. Immerhin: Der zehnjährigen Hannah gefällt ein Bild des finnischen Künstlers Jorma Puranen, das würde sie vielleicht sogar aufhängen, »wenn es ein bisschen kleiner wäre«.
Dass Kinder ihren ganz eigenen Blick auf die Kunst haben, gefällt Eske Nannen. Diesen Blick zu schärfen, ist Ziel der Museumspädagogik. Nicht nur bei Führungen, sondern auch danach. Weil sich die Kinder dann an Tische hocken und »dem Ausdruck verleihen, was sie erfahren haben«. Oder weil sie eines der vielen Angebote der Malschule besuchen, die mittlerweile die größte Jugendkunstschule in Niedersachsen ist. Warum Kunstförderung bei Kindern so wichtig ist? »Sie gehen gestärkt durchs Leben, sie lernen, sich auseinanderzusetzen. Welche Farben nehme ich, das bedarf einer Überlegung. Es gibt nicht ein Grün, es gibt dreißig, vierzig Grüns – das nehmen die Kinder auf.« So entstehen kleine Kunstwerke von kleinen Künstlern, die bei der Finissage der stolzen Oma und sonstigen Öffentlichkeit präsentiert werden.
Viele der achtundneunzig Besucher an diesem Tag hat Eske Nannen kommen oder gehen sehen, von ihrem Büro aus, einem Eckzimmer im ersten Stock eines Neubaus. Der wird intern nur »der vierte Bauabschnitt« genannt. Das hört sich nüchtern an, und doch spürt man im Gespräch mit Eske Nannen die Erleichterung darüber, dass es gelungen ist, dieses Werk zu vollenden. Größer, heller und besucherfreundlicher ist die Kunsthalle geworden. Ein Kraftakt, auch finanziell, vollbracht mit Hilfe von ganz vielen Spendern. Die mussten allerdings erst einmal überzeugt werden. Wenn man Eske Nannen eine »begnadete Klinkenputzerin« nennt, dann lacht sie, aber es stimmt ja: In diesem Punkt macht ihr kaum jemand etwas vor. 2008 erhielt sie den »Deutschen Fundraising Preis«, scherzhaft auch »Deutscher Bettelorden« genannt, weil sie über Jahre ideenreich diese Überzeugungsarbeit geleistet hat. Sie als umtriebig zu bezeichnen, ist eine eher milde Untertreibung.
Deshalb ist es auch alles andere als selbstverständlich, sie in ihrem Büro anzutreffen. Mit Christian Wulff war sie in Japan, noch bevor dieser Bundespräsident wurde. Und hat selbst dort geworben für die Idee von einer lebendigen Begegnungsstätte zwischen Bildern und Bürgern. Ganz hellhörig seien die Japaner gewesen, als sie erzählt habe, »dass wir in einer Stadt leben mit einundfünfzigtausend Einwohnern und dass wir zwischen achtzig- und hunderttausend Besucher im Jahr haben«. Wobei das natürlich keineswegs nur Emder sind, nein, die meisten Besucher kommen von weit her. Die bislang erfolgreichste Einzelausstellung war die des norwegischen Malers Edvard Munch mit über hundertzwanzigtausend Besuchern in nur drei Monaten. Das war im Winter 2004/05. Alles begann mit einem Telefonanruf des damaligen Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel, der einen Staatsbesuch in
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