Lesereise Schottland
Urin im Briefkasten, vom Eierhagel auf dem Weg zur Kirche, von Prügel auf dem Schulhof. 1998 wurde ein englischer Jugendlicher in einem Vorort von Edinburgh von drei schottischen Altersgenossen totgeschlagen. Angus Robertson weist darauf hin, dass die SNP zwar eine nationalistische, aber auch eine antirassistische Partei sei und den Nationalitätsbegriff nicht ethnisch definiere, sondern staatsbürgerlich: Wer in Schottland lebt und arbeitet, ist Teil Schottlands.
Schottland sei die siebtreichste Nation der Welt, das gehe aus OECD -Zahlen hervor, sagt Robertson: »Wir besitzen die beiden größten Exportindustrien Britanniens, Öl und Whisky, den viertgrößten Bankensektor der EU und siebzig Prozent aller Energiereserven Europas. Wir müssten unglaublich inkompetent oder ständig betrunken sein, wenn wir es nicht schaffen sollten, wirtschaftlich zu überleben.«
Modernisierung und Wirtschaftsentwicklung sind eine Seite Schottlands, doch auch die andere Seite, die Theodor Fontane nach seiner Schottlandreise beschrieben hat, gibt es immer noch: »Es war eine der schönsten Reisen in meinem Leben. Ich habe nie Einsameres durchschritten.«
Ein Gedicht für einen Tiermagen
Eine Geburtstagsfeier ist eine ernste Angelegenheit, wenn das Geburtstagskind ein Nationalheld ist. Am 25. Januar feiern Schotten in aller Welt den Geburtstag des Dichters Robert Burns, und damit sie dabei nichts falsch machen, wacht der »Weltverband der Burns-Vereine« mit Argusaugen über die Festlichkeiten, deren Ablauf streng vorgeschrieben ist. Dazu gehören Unmengen von Whisky, die Überreste eines Schafes, viele Gedichte, und zum Schluss singen alle »Auld Lang Syne«, den Burns-Hit, der in den ewigen Charts ganz oben steht.
Wir feiern bei Dissidenten im Tam O’ Shanter Pub in Ayr. Dort sind, im Gegensatz zu den offiziellen »Burns Suppers«, Frauen zugelassen, was völlig gerechtfertigt ist, galt Burns doch als »kaledonischer Casanova« mit einem Heer von Kindern. Außerdem ist das Tam O’Shanter ein historischer Ort: Hier besoff sich der gleichnamige Held aus Burns’ berühmtestem Gedicht, bevor er nach Hause ritt und unterwegs in der Alloway-Kirche ein Hexenfest störte. Tam entkam nur knapp über die Brig o’ Doon, sein Pferd Maggie büßte den Schwanz ein.
Auch bei den Dissidenten gibt es haggis , jenes Würgreizgericht aus allerlei Innereien, das mit Hafermehl vermischt im Schafsmagen gekocht wird. Burns hat auf diesen kulinarischen Albtraum ein Gedicht verfasst. Der »Häuptling aller Wurstsorten«, wie er bei ihm heißt, wird von einem Dudelsackspieler angekündigt. Dahinter schreitet der Koch einher, der das stinkende Gebilde, das dem Dudelsack nicht unähnlich sieht, unter tosendem Applaus auf einer Art Bühne abstellt. Drew Goodwin, ein ortsansässiger Musiker, trägt die »Ode an den haggis « vor. Das muss man sich mal vorstellen: Ein erwachsener Mann liest einem Tiermagen ein Gedicht vor.
Danach verschwindet der Koch mit dem haggis im Hinterzimmer. Sollte der Kelch an uns vorübergehen? Weit gefehlt. Während der piper sich die Lunge aus dem Leib bläst, bringt der Koch den zerkleinerten haggis mit tatties und neeps – Kartoffeln und gelben Rüben – portionsweise zurück. Wir sind bloß Gäste, wehren wir ab, Ausländer gar, und wollen niemandem etwas wegessen. Unsinn, es sei genug da, so ein Schaf habe einen großen Magen. Ach, hätte Burns doch ein Gedicht auf Räucherlachs geschrieben, auf Bratkartoffeln oder meinetwegen auf Pizza Calzone. Aber mit einer Flasche Bunnahabhain, einem leckeren Whisky von der Insel Islay, rutscht sogar ein Schafsmagen in den Magen.
Hugh MacDiarmid, der schottische Kommunist, nannte Burns den »Braveheart der Poesie«. Allerdings ist der Dichter nicht gefoltert und enthauptet worden, sondern im Alter von siebenunddreißig Jahren an rheumatischem Fieber gestorben, was seine Position als mythische Figur aber kaum mindert. In England geht das Burns-Theater der Exilschotten so manchem auf die Nerven. Ein Andrew Cunningham hat den Club »Zum Teufel mit Burns« gegründet und fordert, den Schotten im Gegenzug ein Shakespeare-Dinner aufzuzwingen – mit Lamm in Pfefferminzsauce und warmem Bier, den englischen Spezialitäten. Das Dinner soll am 23. April, dem Todestag Shakespeares, ausgetragen werden. Die einen feiern eben den Geburtstag, die anderen den Todestag ihres Nationaldichters. Daraus kann man sicher über beide Nationen etwas lernen.
Männer in Röcken
Keiner ist stärker als
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