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Lesereise Schottland

Lesereise Schottland

Titel: Lesereise Schottland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Sotscheck
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nicht in die Hände fallen würde.
    Vor Duncansby Head beginnt der Pentland Firth, elf Kilometer breit, der den Atlantik mit der Nordsee verbindet. »Hier gibt es die schnellste Strömung Großbritanniens, wenn nicht der Welt«, sagt McKinnon. »Bei Flut rast das Wasser vierzehn Stunden lang vom Atlantik zur Nordsee, dann bei Ebbe zehn Stunden lang in die umgekehrte Richtung. Manches Schiff saß wochenlang im Pentland Firth fest, von den Gezeiten hin- und hergeschoben wie ein Wasserball.«
    Das schnelle Wasser war schon den Römern bekannt, der Geograf Diodorus Siculus kam 54 v. Chr. durch den Firth, wie seine Aufzeichnungen belegen. Aber die Römer haben Schottland nicht erobert. Vor langer Zeit, sagt McKinnon, herrschten in der Gegend die Chatten, nach Meinung der Römer »die mutigsten, klügsten und diszipliniertesten aller Germanen«. Sie kamen aus dem Hessischen, bauten brochs, große Steinkreise mit einem Durchmesser von rund zehn Metern und drei Meter dicken Wänden, um die Kelten abzuschrecken, mit denen sie aber später verschmolzen.
    Auf dem Rückweg nach John O’Groats halten wir an der Sannick-Bucht, manchmal kommt hier auch die königliche Familie zum Picknick an den Strand mit seinem feinen, weißen Sand, der aus Muschelkalk besteht. »So einen weißen Muschelsand findest du nirgendwo anders als in Land’s End«, sagt McKinnon. Warum das so ist, weiß er aber nicht. Weit entfernt, in der Nähe des Point of Ness, steht ein hässlicher Betonklotz. »Eine Firma, die den Muschelkalk abbaut und verkauft«, erklärt McKinnon. »Die Einheimischen haben versucht, die Sache gerichtlich zu stoppen, ohne Erfolg.«
    Das Wasser ist trotz des Golfstroms, der durch den Pentland Firth fließt, viel zu kalt zum Baden. Aber am Strand knien ein paar Kinder und sieben den Sand mit den Händen. Sie suchen groatie buckies , sagt McKinnon, eine nach innen gebogene Kaurimuschel, die es nur in dieser Gegend gibt. Eine neolithische Halskette aus diesen Muscheln, fünftausend Jahre alt, ist das älteste Schmuckstück, das in Schottland gefunden wurde. Nachbildungen davon gibt es im »letzten Haus Schottlands« in John O’Groats zu kaufen, wenn man Glück hat, doch die Muscheln sind rar geworden.
    John O’Groats – ein merkwürdiger Name. »Er stammt aus dem späten 15. Jahrhundert«, sagt McKinnon. »Nachdem die Orkneyinseln an Schottland gefallen waren, beschloss Jakob IV., eine Fähre zur Hauptinsel einzurichten.« Damit beauftragte er drei holländische Brüder, die de Groots, die ein Stück Land an der Spitze der Grafschaft Caithness erhielten und dafür »drei Maße Malz« im Jahr abgeben mussten, so steht es im Pachtvertrag mit Jan de Groot.
    Jan hatte acht Söhne, die Nachfahren betrieben die Fähre zweihundertfünfzig Jahre lang. Die de Groots begingen den Jahrestag ihrer Ankunft in Schottland stets mit einem großen Festmahl, und dabei kam es einmal unter den acht Söhnen zum Streit darüber, wer am Kopf der Tafel sitzen durfte. Der alte Jan schickte alle nach Hause und versprach, eine Lösung zu finden. Dann baute er ein achteckiges Haus mit acht Eingängen und einem achteckigen Tisch, sodass niemand und jeder am Kopf der Tafel sitzen konnte. Das Gebäude hieß »Jan de Groot’s House«, und bald hieß auch der Ort, verballhornt, John O’Groats. Das Haus, das später eine Herberge war, ist längst unter den Dünen begraben, aber »es ist fünf, sechs Meter unter dem Sand noch intakt«, behauptet McKinnon. Ein Hügel mit einem Fahnenmast markiert die Stelle. Das neue Hotel, das inzwischen auch nicht mehr so neu ist, hat ein achteckiges Türmchen, in Erinnerung an Jan de Groots Haus.
    Der alte Holländer ist in Canisbay, dem Nachbarort, begraben. Es gibt dort eine unscheinbare Kirche, die Canisbay Church of Scotland, das nördlichste Gotteshaus Britanniens. Jan de Groots Grabstein steht im Flur der Kirche an die Wand gelehnt. »Mein Sohn Donald beerdigte mich hier am 13. Tag des April 1568«, steht auf dem braunen, verwitterten Stein, kaum noch zu entziffern. Natürlich ist de Groot nicht im Kirchenflur begraben, der Stein wurde 1852 unter dem Fußboden der Kirche gefunden.
    Das mittelalterliche Gotteshaus hat eine merkwürdige Form, der Altar befindet sich an der Längswand in der Mitte, gleich neben dem Eingang. Die Bänke für die Gläubigen stehen seitlich vom Altar. Der Friedhof hinter der Kirche geht bis hinunter zum Pentland Firth. »Hier möchte man begraben sein«, meint McKinnon, der aber nicht den

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