Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Bouchiers.
Homogen wie alles auch der Stein: Kentish rag , rauer grauer Kalkstein der Umgebung, der im Sonnenlicht ein wenig glänzen mag, silbern wie Perlmutt, und für die feineren Konturen polierter Muschelkalk aus Kent, Bethersden marble . Mögen auch die stolzen Bauten des 18. Jahrhunderts weithin als gefälliger, auch typischer gelten: Englischer zumindest sind sie nicht. Sie seien, so schreibt Vita Sackville-West, »in England, they are not of England«.
Englisch ist in Knole schon die Fassade aus Bescheidenheit. Draußen an der Außenmauer, die genauso alt ist wie das Haus und aus demselbem grauen Stein, weisen uns die kleinen Schilder, unauffällig schwarz mit weißer Schrift, voller Understatement bloß zum »House«. Umso mehr beeindruckt dann bereits die Anfahrt, scheinbar weg vom Haus, im Bogen hinab und durch die Senke eines lange verschwundenen Baches und aufwärts zwischen Baumgiganten, vorbei an unzähligem Damwild und zuletzt ans Tor. Dort wiederholt sich das Erlebnis: Unscheinbar beinahe wirkt der Stone Court, bis die Führerin mit einem Wink hinaufweist an die Regenrinnen mit den alten Initialen » TD « – Thomas Earl of Dorset. Das Wasser aus den viereckigen Rohren sammelt sich in einem großen Reservoir gleich unter uns. Im Innern schließlich ist die Wirkung dann am größten. Immer wieder sagt uns unsere Begleiterin, im zugeknöpften Mackintosh, mit bläulich eingefärbten Haaren, »wir sind kein Museum«. – Sie sagt tatsächlich »wir«, nicht »Knole« – nur um dann wieder eine neue Tür zu öffnen zu einem neuen Raum voller Bilder, hier ein halbes Dutzend Ölgemälde nach van Dyck, dort eine Reihe Porträts »after Holbein«, dort sechs großformatige Kopien nach Raphael, zuletzt die Reynolds gleich im Dutzend mit einem Gainsborough als Zugabe.
Nur ein Cembalo in England ist älter als das in Knole von 1622. Kein Möbel ist berühmter als das sogenannte »Knole Settee« aus dem 17. Jahrhundert, der ferne Ahnherr ungezählter Sofas. Und ohne seinesgleichen ist im ganzen Land der King’s Room mit der opulenten Ausstattung aus Goldbrokat und reinem Silber. James II. hat hier einst logiert, als er noch Duke of York war, seither hat man das funkelnde Gemach für ihn bereitgehalten. Doch er kam kein zweites Mal. Über hundert Menschen haben dieses Bett in jahrelanger Arbeit kürzlich wiederhergestellt, und als vor ein paar Jahren die Ausstattung des Raumes vorübergehend in Amerika gezeigt wurde, war eine Dame des Vertrauens drei Wochen lang damit befasst, das Silber zu polieren – Spiegel, Kerzenständer, Bürsten und Flakons. Jetzt sei sie nicht mehr sauer, sagt heiter die Dame vom National Trust, die hier gemütlich Wache hält, dass sie zu Hause mit ihrem Silber nicht immer so zurechtkomme, wie sie sich das vorgestellt habe. Auch der Tisch ist ganz aus Silber, einen ähnlichen besitzt die Queen in Windsor, wird uns anvertraut, aber der ist in der Tat vier Jahre jünger.
Ein einziger Raum im ganzen Haus gilt als »Museumsraum«, auch das will sagen, dass das Haus als Ganzes kein Museum ist. Es ist noch immer bewohnt, die Türen rechts und links im Durchgang zum Stone Court tragen allesamt den kleinen Hinweis »private«, und stünde hier ein Name auf dem Schild: Er wäre Sackville – wie seit 1566.
1946 gab Vitas Onkel sein Haus schweren Herzens an den National Trust, doch immer noch bewohnen Sackvilles den größeren Teil, und in den öffentlichen Räumen ist der alte Geist zu Hause wie sonst nirgends. Die hingestreckte Schöne am Fuß der großen Treppe stellt Giannetti Baccelli dar, eine italienische Tänzerin, die Geliebte des dritten Duke of Dorset – seit 1720 waren die Sackvilles Herzöge. Noch nach über zwei Jahrhunderten fällt es leicht zu glauben, dass der Herzog, wie von Sinnen, ihr seinen diamantenbesetzten Hosenbandorden antrug und sie damit ihre Haare zusammenhielt. Und wer weiß, vielleicht war er ja wirklich der Geliebte der Marie-Antoinette, Botschafter in Frankreich war er jedenfalls. Selbst der Duft ist hier der alte: Das machen die Potpourris nach dem Rezept der Lady Germain von 1750, Rosenblätter, Veilchen und Lavendel, Myrten, Eisenkraut und Rosmarin, Lorbeerblätter, Balsam und Geranien und vieles mehr in großen Schalen, die im ganzen Haus verteilt sind.
Im Augenblick der Gegenwart ist die Vergangenheit lebendig: Das macht Knole so einzigartig unter Englands Herrenhäusern. Ähnlich ist es nur in Penshurst Place, das gemeinsam mit der Kirche und dem
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