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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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alten Leicester Arms Hotel jenseits der Straße ein ganzes Dorf beherrscht. Das zinnenbewehrte gotische Schloss ist noch bewohnt und gänzlich in Privatbesitz. Auch hier der Eindruck von Geschlossenheit im Westen, und wiederum erschließt sich das gegliederte Gemäuer dem Besucher erst, wenn er sich nähert, von Süden her, vorüber an getrimmten Eiben und weiter in den akkuraten Garten.
    Gebaut aus gutem, festem Stein, mehr auf würdige Bemessenheit bedacht als auf verfeinerte Schönheit: So hat einer der Bewohner, Sir Philip Sidney, auch er ein Diplomat und Dichter, Penshurst Place am Ausgang des 16. Jahrhunderts beschrieben. Damals war das Haus schon alt, die große mittelalterliche Halle stammt von 1340 und stützt ihr weites Dach noch immer auf dieselben mächtigen Kastanienbalken wie schon vor sechshundert Jahren. Und auch zu diesem Haus ist einem Dichter eine Zeile über das Vergehen und die Zeiten in den Sinn gekommen: »Fresh as the ayre, and new as are the houres«, so schrieb Ben Jonson über Penshursts Garten. Doch Penshurst Place hat Zeiten des Verfalls und Niedergangs erlebt, im 18. Jahrhundert nahm ein neuer Eigner den alten Namen Sidney an, um so die Kontinuität des Hauses zu bewahren, und so mag der jetzige Besitzer, Viscount De L’Isle, wahlweise auf zwei und vier Jahrhunderte zurückblicken.
    Wer mit dem Auge reist, der findet leicht in Hever und Leeds Castle, was er sucht. Das malerische Inselschloss Leeds Castle ist das Traumschloss jeder Sehnsucht nach dem Mittelalter – »das schönste Schloss der Welt«, nach Lord Conway. Und es tut im Grunde nichts zur Sache, dass das ganze Zitat weit weniger werbewirksam ist: Wenn man das Schloss im Nebel sieht und die Mauern, wie sie sich im Graben spiegeln, dann könnte man wohl denken, es sei »das schönste Schloss der Welt«.
    Das alte Königinnenschloss, beliebter Rastplatz auf dem Weg nach London, ist heute im Besitz einer Gesellschaft und kann für Seminare angemietet werden. Im Sommer gibt es Golfturniere und Ballonregatten, und aus der Höhe sieht der See mit den Gebäuden auch am besten aus. Oder zu Ostern, wenn in den gelben Meeren der Narzissen zwanzigtausend Ostereier auf die Kinder der Besucher warten. Im Innern ist der Abglanz der Epochen allenfalls geborgt, zusammengetragen zumeist, wenn auch mit Geschmack. So steht man unverhofft vor belgischen Behängen und einem Pastell von Degas oder findet neben einem Triptychon eines flämischen Meisters zwei Pissarros. Daneben in den alten Kaminen ein künstliches Feuer. Die letzte Eignerin, Lady Bailley, die Leeds Castle in den zwanziger Jahren erwarb, wünschte sich, mit Recht, auch den Komfort des 20. Jahrhunderts.
    Und schließlich Hever Castle, ein Park, ein Parkplatz und ein Wasserschloss dahinter. Hier wird die Reise durch die Zeit zur sentimental journey . Hever war der Stammsitz der Familie Bullen, deren unglückseligste Vertreterin sich auf dem Weg zum Gipfel für die Vornehmheit entschied und ihren derben Namen in »Boleyn« verwandelte. Hier war es, wo der König um sie warb und wo er sich, in Briefen, als »treuer Diener« ihr zu Füßen legte: »Obwohl Ihr, meine Geliebte, nicht geruhet, Euch an das Versprechen zu erinnern, das Ihr mir bei unserer letzten Zusammenkunft gabt – nämlich … auf meinen letzten Brief zu antworten – geziemt es nach meiner Ansicht dennoch einem wirklichen Diener, sich nach dem Befinden seiner Geliebten zu erkundigen« – die Launen des Verliebten als geschraubte Perioden. Die Hochverehrte sitzt derweil an ihrer Handarbeit und lässt den König zappeln. In der Staircase Gallery ist eine ihrer Hauben ausgestellt, gefertigt von Anne Boleyn. Der König, immerhin verheiratet mit Katharina von Aragón, wünscht sich unterdessen in die Arme »meines Schatzes, dessen hübsche Brüste ich bald zu küssen hoffe«. Auch dieser Brief ist überliefert. Heinrich hat wohl kaum geahnt, dass der Angebeteten in gar nicht fernen Zeiten der Makel angehaftet werden würde, dass sie der Brüste dreie habe! In ihrem Zimmer wird ihr Stundenbuch verwahrt mit ihrem handschriftlichen Motto: »Remember me when you do pray/ that hope doth lead from day to day/ Anne Boleyn.« Sie trug es bei sich auf dem Weg zur Hinrichtung im Tower, wo ihr Ehemann sie köpfen ließ wegen wiederholten Ehebruchs, sogar mit ihrem Bruder, womöglich aber nur, weil sie ihm eine Tochter schenkte, aber keinen Sohn für seinen Thron. Für den Henker war ein Honorar von vierundzwanzig Pfund vereinbart, und

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