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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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Hohlweg überspannte, auf dem schon damals die Verehrer auf der Lauer lagen wie heute wohl die Paparazzi, entfernte peinliche Verwandte von Camerons Kunst. So mochte er wohl unentdeckt bis an den Garten von Dimbola Lodge gelangen, ans Wasser oder in das Haus der Freunde.
    Julia Margaret Cameron starb 1879 fern in Ceylon. Einer ihrer letzten Briefe war an Lady Tennyson gerichtet und setzt dem Klatsch in der Freshwater Bay das Wesentliche gegenüber: »Ein heiliger Segen hat meine Fotografie begleitet«, so heißt es da, »sie gibt Millionen Vergnügen und vielen ein tieferes Glück.«

Die Queen mag keine Dino-Droppings
    Saurier am Strand der Isle of Wight
    Die Isle of Wight ist Englands Sommerloch, der sonnigste Flecken der Insel. Doch Martin Simpson freut sich schon im frühen Sommer auf den Winter, und man merkt es ihm auch an: Wir stehen am flachen Strand der Compton Bay, hinter uns das Wasser, vor uns die Klippen, an deren Oberkante unterm Gras die Schwalben hängen. »Wo ich hier stehe«, sagt er und zeichnet mit den Händen eine vage Grenze links und rechts, »war vor dem letzten Winter noch das Cliff.« Jetzt säuft der Himmel grau am Horizont im Wasser ab. Wir anderen hätten lieber Sonne gehabt an diesem kühlen, verhangenen Tag, doch Martin scheint hinter dem bleiernen Vorhang der Wolken bereits den Herbst zu ahnen, der für seinen Auftritt probt. Und der nächste Winter, weiß er, kommt bestimmt.
    Martin Simpson ist Wanderführer, Geologe und Fossiliensammler, und sein liebster Arbeitsplatz ist hier: Die alte grüne Jacke aus schwerer Baumwolle schimmert längst nicht mehr nach Wachs und Imprägnierung, sie ist um die Taschen gelb und trocken wie der Lehm im Steilhang hinter ihm. In der einen trägt er einen schweren Meißel mit sich, in der anderen den Fäustel. Er greift sich einen Brocken von der Klippe und zerschlägt ihn in der hohlen Hand: weicher Sandstein wird im Handumdrehen zu Sand. Dann schiebt er mit der Stiefelspitze eine Handvoll Strand zusammen und presst sie zwischen seinen Händen. Wir glauben gerne, dass so oder ähnlich der Sandstein entsteht. Jetzt brauchen wir uns alles dies nur unter den Bedingungen der Kreidezeit zu denken, vor rund hundert Millionen Jahren.
    Die Kreide sehen wir von Weitem, fern am malerischen Westzipfel der Insel mit dem weiß getupften Wahrzeichen, den Needles. Doch weiter südlich, bei Hanover Point, stehen wir noch unterhalb der Kreideschicht von einst, die hier schon lange abgetragen ist, im Lehm einer alten Lagune. Der feste Mergelkern am Fuß der Klippen ist auf der Südwestseite der Insel kilometerweit von höchst porösen Kalk- und Grünsandschichten überlagert. Regenwasser sickert leicht durch diese Schichten, sammelt sich und macht den Untergrund verformbar, schlüpfrig-glatt und fließt dann mit dem grauen oder blauen Sediment, das deshalb auch »Blue Slipper« heißt, weiter abwärts, was hier heißt: nach Süden. Dadurch sind die oberen Schichten in ständiger Bewegung. Gerade in den Winterstürmen mit ihren plötzlichen Kälteeinbrüchen kommt es so regelmäßig zu landslips , Erdrutschen und Klippenstürzen. Es sind die größten in Nordwesteuropa.
    Der Parkplatz oberhalb, von dem wir aufgebrochen sind, ist schon bedenklich angefressen, bald wird er ganz verschwunden sein; bei Rocken End im Süden der Insel stürzten 1928 mehrere Hundert Meter Straße in die Tiefe, die neue von 1933 macht daher einen weiten Bogen um St. Catherine’s Point. 1963 fiel ein alter Herrensitz ins Wasser, und 1978 nahm die Klippe gleich fünf Häuser mit. Zwischen einem und vier Metern im Jahr weicht die Küste zurück, Martin Simpson drückt es anders aus: Vor zweitausend Jahren war die Isle of Wight noch doppelt so groß, in fünftausend Jahren wird sie verschwunden sein.
    Bis dahin aber gibt sie jeden Winter ihre Schätze frei. Wir starren auf das Cliff und sehen nichts, nur hellen Sandstein, gelben Lehm und Ton in vielerlei Schattierungen, weiß und rötlich, grau und grün. »Das machen alle Leute falsch«, sagt Martin uns, »die Klippen verändern sich den Sommer über nicht. Man muss am Wasser gucken.« Am Wasser gibt die Ebbe immer wieder etwas frei von dem, was sich die Flut zuvor geholt hat.
    Wir finden pflichtgemäß am flachen Wasser schwarze Stücke: »Kohle«, sagt er, »nichts Besonderes.« Dann hebt er selbst etwas auf, so rund und schwarz wie unsere fossile Kohle, und kann uns gleich den Unterschied erklären. Sein Fund ist tatsächlich leicht porös: Der

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