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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bengel
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sie: »Aber das sollen sie ja: Sie pflücken und sich daran erfreuen!«
    Die Blumen und der ganze Garten sind verschwunden, und beinahe wäre auch noch eins der beiden Häuser abgerissen worden. 1875 zogen sich die Camerons zurück nach Ceylon, Dimbola Lodge ging an verschiedene Besitzer und wurde aufgeteilt in Cameron House und Dimbola; der eine Teil des Hauses wurde zum Hotel, der andere in kleine Wohnungen zerstückelt. Auch in England hält keine Denkmalschutzbehörde ihre Hand über baulich belanglose Häuser. Doch inzwischen gab es einen Cameron Trust, und dem gelang es 1993, mit einer Zuwendung der Foundation for Sport and the Arts, das halbe Haus zu kaufen. Nur wenig später kam das Gegenstück dazu, und seit dem Mai des Jahres 1994 wurde Dimbola Lodge, wie es jetzt wieder heißt, von Grund auf renoviert. Der japanische Kamerahersteller Olympus sah die Unterstützung als eine ehrende Verpflichtung an. Alle neuen Zwischenwände und Erweiterungen wurden abgetragen, das Haus sieht von der Raumaufteilung wieder ganz so aus wie im vergangenen Jahrhundert.
    Jetzt freilich ist es ein Museum und eine Tagungsstätte mit Seminaren zur Fotografie. Als man uns schließlich einließ, ging es durch den Turm ins Innere, am Tearoom und am Büchertisch vorbei, dann durften wir nach oben. Das Mädchen saß in Jeans und Bluse, in einen weiten Häkelumhang eingehüllt, auf einem Stuhl mit scheuem Lächeln und wusste nichts mit seiner Pause anzufangen. Mit ihrer zarten Puderblässe war kein Herrenmagazin und kein Pin-up-Kalender zu bereichern. Was hier entstehen sollte, im professionellen Mittelformat, war ganz einfach Kunst: Fotos zwischen Fotos, verschieden hinsichtlich Ästhetik, Aufwand, Technik und Epoche, verbunden nur durch diesen selben Raum.
    Zwei Räume im Obergeschoss dienen jetzt als Galerie. Sie sind leer bis auf ein paar schlichte Stühle und die kleinen Messingleuchter an der Decke. Die Wände sind weiß, die Bodendielen roh und farblos. Es war noch früh an diesem Tag, so kam die Sonne fast noch von der grünen Kuppe mit dem Golfplatz herüber und legte uns die Öffnungen der großen Schiebefenster als helle Abbilder aus Licht in lauter Schatten vor die Füße. Die Kammer schien wie eine Camera obscura. An den Außenwänden war das intensive Blau des Himmels weiß gerahmt und wirkte wie ein Ölgemälde von Magritte. Ansonsten dominierten Schwarz und Weiß und einige der wichtigsten Porträts des 19. Jahrhunderts.
    Das Geschenk der Tochter hatte ihre Mutter nicht mehr losgelassen. Die erste Aufnahme, die ihr gelang, war das Porträt eines Farmers namens Rice. Doch sie verdarb es, ehe sie Kopien davon machen konnte. Sie hätte Aquarelle malen oder Verse schmieden können oder was man einem resoluten Blaustrumpf mit dem Drang zum Ausdruck sonst an Künsten zugebilligt hätte. Doch sie wollte sich partout die Finger schmutzig machen an hochbrisanten Chemikalien wie in Alkohol gelöster Kollodiumwolle, die aufs Innigste dem Sprengstoff verwandt waren. Sie zahlte Lehrgeld, doch das Lehrgeld zahlte Zins und Zinseszins. Zu Beginn des Jahres 1864 signierte sie ihr erstes Lichtbild mit dem stolzen Zusatz: »My first success«. Bald zeigte sie ihre Alben herum, schon 1864 wurde sie in London in die Photographic Society gewählt. Die Bilder aus dem schwarzen Kasten wurden ihre Leidenschaft. »Aus meinem Kohlenhäuschen machte ich die Dunkelkammer«, schrieb sie später, »und aus dem verglasten Hühnerstall das Atelier.« Statt des Geflügels gingen nun die Nachbarn und die Künstler bei ihr ein und aus. In ihrem Schlafzimmer bezog sie Posten, von dort aus schaute sie mit einem Auge auf die Straße, die auch heute noch zum Strand hinunterführt, und wenn ein ansehnlicher Mensch vorüberkam, schickte sie ihr Mädchen hinterher. Oft genügte Überredung, manchmal gab sie auch ein wenig Silbergeld. Dafür ließen sich die meisten fotografieren, Bauern, Dörfler, Handelsreisende, vor allem aber ihre Dienstmädchen. Viele sind inzwischen namenlos, aber allesamt dabei unsterblich. »Ihre Porträts versprechen die meisten Werke ihrer Zeitgenossen zu überdauern«, befand schon damals der Künstler und Designer Roger Fry aus dem Bloomsbury-Zirkel um Virginia Woolf und Vanessa Bell. Mit den Bildern ihrer Zeitgenossen, vor allem der berühmten, hat uns Julia Cameron das Antlitz ihrer viktorianischen Ära verwahrt.
    Ellen Terry kam zum ersten Mal mit sechzehn Jahren, damals schon die gefeierte Shakespeare-Darstellerin, als die man sie

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