Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
heute noch kennt, und die Gefährtin des berühmten Architekten Edwin Godwin, der später dann der Vater ihrer Kinder wurde. In London traf sie Watts, den Modeporträtisten, und stürzte sich mit ihm, noch immer sechzehn, in das desaströse Intermezzo ihrer ersten Ehe. Die beiden lebten kurze Zeit im Haus The Briary nahe der Freshwater Bay.
Julia Margaret Cameron hat Ellen Terry ebenso fotografiert wie G. F. Watts und viele aus dem großen Kreis um Tennyson: die Dichter Thomas Carlyle, Henry Longfellow und Robert Browning, den Präraffaeliten Holman Hunt, den berühmten Charles Darwin, ihren Schwager Thoby Prinsep.
Auf einem Foto schaut uns recht sinister Alice Liddell an, die Alice aus dem Wunderland von Lewis Carroll, der seine Titelgestalt und wohl auch seine Obsessionen auch auf Bildern festgehalten hat: das kleine Mädchen unzweideutig als lolitahafte Versuchung. Julia Prinsep Jackson, verwitwete Duckworth, eine Nichte von Julia Cameron, wendet sich auf einem ihrer berühmtesten Bilder mit eben jenem Blick zur Seite, den man durch spätere Fotos von ihrer Tochter Virginia Woolf kennt. Hier in Dimbola Lodge traf Julia Duckworth ihren zweiten Ehemann, Sir Leslie Stephen. »Die Freshwater-Gesellschaft jener Tage kam näher an den Zweck und an das Ideal der französischen Salons heran als jede andere Gruppierung in England«, schrieb später jemand, der dazugehörte. »In Tennyson hatten wir unseren Chateaubriand, und unsere Madame Recamier war Mrs. Cameron.« Sie vor allem zog die Künstler nach Dimbola Lodge und Freshwater. Ausstaffiert wie eine Bäuerin vom Balkan, in jener schlichten Einfachheit, die ihr die Zeitgenossen attestierten, schaut sie nun mit derbem Blick am Objektiv vorbei ins Unbestimmte. Und ihr Ehemann, Charles Hay Cameron, sieht auf dem Bild von 1867 mit seinen zweiundsiebzig Jahren eher aus wie Merlin, der Zauberer von König Artus, als wie ein Verwaltungsbeamter der Queen.
Neben den schablonenhaften, massenhaft verbreiteten Visitenkartenbildern vieler Berufsfotografen nahmen sich die Bilder Camerons wie Meisterwerke aus: »Ich wünschte, ich könnte solch ein Bild malen«, schrieb Watts, der Maler, unter eins ihrer Porträts. Kaum war die Kunst entwickelt worden, mit Licht und Linsen Bilder festzuhalten, zeigte diese Frau den Konkurrenten, dass man sie mit Schatten noch verbessern konnte. Bei Belichtungszeiten von bis zu mehreren Minuten ließen andere Fotografen das Licht von allen Seiten in ihr helles Atelier. Julia M. Cameron dagegen zog häufig die Vorhänge vor und verlängerte die Qual ihrer Modelle noch obendrein durch die Bevorzugung von Nahaufnahmen mit einem wahren Linsenungetüm, das hemmungslos das letzte Licht verschluckte: Sieben Minuten, klagte einer, da werde man zum Märtyrer. Da war keine Zeit für ein gewisses Lächeln. Wenn gewackelt wurde, fing die resolute Fotografin noch einmal von vorne an: »Ich zählte bis vierhundert und fünfhundert und bekam ein gutes Bild.« Das Bild von Julia Jackson zeigt uns heute noch, was man damals den »Rembrandt-Effekt« der Cameron nannte. Als Tennyson ihr bei Gelegenheit ein neues Opfer vor die Linse setzte, den Dichter Henry Longfellow, verließ er ihn mit süffisantem Ratschlag: »Sie müssen tun, was sie Ihnen sagt. Ich bin bald wieder da und sehe, was von Ihnen übrig geblieben ist.«
Wer damals vom Verkauf der Bilder leben wollte, musste den Modellen auf den Fotos schmeicheln. Das ging am leichtesten durch stilisierte Ähnlichkeit und würdevolle Posen, für die Gerüste, Sessellehnen, Nackenstützen geradestanden. Nur wer unabhängig war, der konnte es sich leisten, mit dem Fotoapparat die Oberfläche zu durchdringen, um bis zur Seele zu gelangen. Julia Cameron verzichtete auf alle Stützen und belichtete stattdessen einige Glasplatten mehr. Als sie, auf dem Gipfel ihres Schaffens, eine Neuausgabe von Tennysons Artus-Zyklus »Idylls of the Kings« mit ihren Fotos illustrierte, nahm sie für die Abschiedsszene zwischen Lancelot und Guinevere zweiundvierzig Platten auf, ehe sie mit ihrem Resultat zufrieden war.
In ähnlich rückwärtsgewandten, romantischen Posen erscheint auch der berühmte Dichter und Nachbar auf ihren Porträts. Von seinem Haus den Hang hinunter führt ein Pfad bis an die Gartenpforte, die seither seinen Namen trägt und gelegentlich Anlass zu delikaten Spekulationen und kaum verhohlenen Verdächtigungen gibt. Es gibt im Park von Farringford noch immer jene Brücke, die von seinem Haus den öffentlichen
Weitere Kostenlose Bücher