Lesereise Tschechien
im geschmeidigen Kanu auf dem schnellen Fluss vorbei; ein Gitarrenduo erfüllt die Terrasse des »Old Inn« mit abendlicher Sanftmut, und im Restaurant Lazebna bietet unter Bäumen eine Combo anspruchsvollen Folk, die Sängerin ist eine Roma. Gibt es dafür eine schönere Kulisse als die angestrahlte, grau und zimtbraun dräuende Burg und den murmelnden Fluss?
Nur sind immer zu viele Menschen dabei. Nie ist es ruhig in dieser Stadt, auch wenn man es als äußerst angenehm empfindet, dass die Geräusche hier nur von menschlichen Stimmen und dem Schlag der Glocken rühren, von Autos kaum. Die sind aus dem Zentrum verbannt oder rollen, wenn man sie ausnahmsweise doch dort antrifft, extrem langsam und leise. Ein schmerzliches Ungleichgewicht wird bewusst: Wo die Besucher in der Überzahl gegenüber den Bewohnern sind, gerät die innere Balance in Gefahr. Krumauer Antiquariate bieten mehr ausländische als tschechische Bücher an, das liegt in der Logik der Entwicklung. Wie soll man’s steuern?
»Wir müssen die natürliche Schönheit von Krumau schützen«, sagt Jitka Augustinová, die Pressesprecherin der Stadt. Es gibt einen Entwicklungsplan, der vom Qualitätstourismus spricht. Schon jetzt sind das Fest der fünfblättrigen Rose, die Sommerkonzerte, die Vorstellungen im historischen Barocktheater und die Aktivitäten im neuen Egon-Schiele-Kunstzentrum in diese Richtung ausgelegt. Schon jetzt hat die Zahl der großen Busse abgenommen, auch im August sind wochentags viele Restaurantplätze leer. Wer Krumau in aller Stille erleben will, der sollte im November oder im Februar hinfahren.
Wenn die Wildnis erwacht
Der Böhmerwald, der Bayerische Wald und das »wilde Herz Europas«
Es riecht nach Fichtennadeln, und das berühmte Rauschen ist in der Luft. Ein kleines Wasser gluckert. Als David Albrecht es am Weg bemerkt, beschleunigt er die Gangart und hastet seitwärts über Wurzeln und bemooste Steine den Berg hinan. »Dieses Wasser ist der Beginn der Moldau!«, ruft er über die Schulter zurück und folgt dem gurgelnden Bächlein ein paar Dutzend Schritte weit bis hinauf zu einer Stelle, wo es aus dem Berg hervortritt. »Man kann es trinken, es ist sehr gutes und sehr gesundes Wasser«, sagt der junge Mann und beugt sich schon hinunter, die Hände zum Schöpfgefäß geformt. Das Wasser soll silberhaltig sein.
Hier, wo die Moldau entspringt, aus mehreren Quellen, hier pocht »das wilde Herz Europas«. Hier, tief im Böhmerwald, ganz nahe an der bayerischen Grenze, liegen die Wurzeln eines Mythos, der jetzt zu neuem Leben erwacht. Nicht weit von der Quelle, an der gerade David Albrecht, der Informationsbeauftragte des tschechischen Nationalparks Šumava, den würzigen Duft der Farne, der Stauden und der hohen Bäume durch die Nase einzieht, beginnt eine Zone besonderer Art. Ungestört vom Menschen soll sich der Wald mit all seinen Pflanzen und Tieren zurückentwickeln zu jenem Dschungel, der er war, bevor seine Ausbeutung durch die Forstwirtschaft begann.
Das rund dreizehntausendfünfhundert Hektar große Territorium gehört je etwa zur Hälfte zum tschechischen Nationalpark Šumava und zum Nationalpark Bayerischer Wald. Als »Europas wildes Herz« hat man es benannt, damit sich die Faszination seiner ungezügelten Natürlichkeit schon im Namen den rund eineinhalb Millionen Besuchern vermittle, die jedes Jahr auf beiden Seiten der Grenze in die beiden Nationalparks kommen.
Es ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Mitteleuropas zu besichtigen. Ursprünglich sprach man nur vom Böhmerwald und verstand darunter einen mehr als zweihundert Kilometer langen Streifen auf beiden Seiten der bayerisch-böhmischen Grenze, der sich von der Oberpfalz über Niederbayern bis ins österreichische Mühlviertel erstreckt. Als dort nach dem Zweiten Weltkrieg der Eiserne Vorhang niederging, kam im Westen für den bayerischen Teil des Böhmerwalds der Name Bayerischer Wald auf. In Tschechien bezeichnete man die Reste im Norden als Český les (Böhmischer Wald), weiter südlich als Šumava (die Rauschende). Erst der Zusammenbruch des Kommunismus beendete 1989 die wechselseitige Isolation.
Im hermetisch abgeriegelten Grenzgebiet hatte sich ein einzigartiges Biotop entwickelt, das man nach der Wende gemeinsam bewahren und entwickeln wollte. Auf bayerischer Seite war schon 1970 nach amerikanischem Vorbild der Nationalpark Bayerischer Wald gegründet worden, der Erste in Deutschland. Seine ursprüngliche Fläche von
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