Lesereise Tschechien
aber nur in einer Kernzone, die erst einundzwanzig Prozent des Nationalparks Šumava ausmachte und nach Krejčís Wunsch bis 2020 möglichst auf dreißig Prozent ausgedehnt werden sollte.
Der Direktor, der wie alle Forstleute gern grüne Hemden trägt, war sich dabei wohl bewusst, wie wichtig in allem die gründliche Aufklärung der Bevölkerung ist. In seinem geräumigen Dienstzimmer in der Nationalparkverwaltung in Vimperk hatte er eine ganze Serie verschiedenster Broschüren zu Flora und Fauna zur Hand, als er in einem Interview im Jahr 2009 sein Konzept erläuterte. »Man muss immer erklären, dass zu solchen Wäldern auch Totholz gehört. Das ist ein integraler Bestandteil der Naturgesellschaft.«
Die Baumskelette, die von den Borkenkäfern hinterlassen werden, sind als Moderholz hochwillkommen. Aus ihm versorgen sich die Jungpflanzen, die aus den pflanzlichen Ruinen wachsen. Wie aber geht diese Verjüngung vor sich? Direktor Krejčí ließ ein Lächeln über sein Gesicht huschen und warf seinen silbernen Laptop an, auf dem er eine ganze Serie von Statistiken, Filmsequenzen und Grafiken vorführte. Über dieses Thema hatte er an der Karls-Universität in Prag seine Doktorarbeit geschrieben, auf der Basis langjähriger Untersuchungen im Böhmerwald. Das Ergebnis ist eindeutig. Ganz von alleine sorgt die Natur dafür, dass in den Bergfichten-Schonungen aus vermoderten Stämmen neues Leben wächst. Junge Bäume und Vogelbeersträucher ranken sich hervor, und zwar in weit größerer Zahl als in jenen Gebieten, wo man früher mit dem Pflanzen von Sämlingen nachhalf. »Die Natur hat gezeigt, dass sie es besser kann«, sagte der Forstwissenschaftler lächelnd.
Deshalb kämpfte er dafür, dass der Böhmerwald wieder »der alte« werden dürfe und die Wildnis wieder erwache. Befürchtungen, die Totholzflächen würden die Touristen abschrecken, haben sich im Bayerischen Wald nicht bewahrheitet. Eher könnte der Ansturm zu stark werden. Auf der Moldau und anderen Gewässern wurde deshalb die Zahl der Boote beschränkt.
Doch Friede kehrte damit keineswegs ein. Der Streit um den Borkenkäfer wurde in Tschechien immer stärker zum Politikum. Für den Forstdirektor Krejčí verdüsterten sich die Aussichten, als die seit Anfang 2007 regierende grün-konservative Dreier-Koalition in Prag im März 2009, mitten während der tschechischen EU -Präsidentschaft, durch ein Misstrauensvotum im Parlament scheiterte. Es folgte eine Phase politischen Stillstands, und bei der Neuwahl im Mai 2010 kamen die völlig zerstrittenen Grünen nicht mehr über die Fünf-Prozent-Hürde. Das neue Konzept für den Böhmerwald verlor somit seinen politischen Paten.
Das neu gebildete konservative Parteienbündnis unter Führung der neoliberalen Bürgerdemokraten und des Ministerpräsidenten Petr Nečas vergab den Posten des Umweltministers an einen Nečas-Gefolgsmann, der ebenso wie der Staatspräsident Václav Klaus dem Borkenkäfer nicht grün ist. Nach wenigen Monaten warf František Krejčí deshalb die Flinte ins Korn und dankte ab, Anfang 2011 ernannte das Kabinett zum neuen Direktor des Nationalparks Šumava den Altpolitiker Jan Stráský, einen Klaus-Anhänger, der zuvor den Tschechischen Touristenclub geleitet hatte und die Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Borkenkäfers als Auftrag bekam. Stráský hatte auch einen stärkeren Holzeinschlag im Böhmerwald und die Erschließung bestimmter Teile für Skifahrer befürwortet.
Der neue Ansatz für den Naturschutz scheint also außerhalb des Kerngebiets, des »Wilden Herzens«, vorerst wieder aufgegeben. Immerhin gibt es für die Liebhaber ein Trostpflaster. Erstmals seit Jahrzehnten öffnete die Verwaltung des Nationalparks für kleine Gruppen eine Zone an der Grenze, die im Kommunismus nur von ein paar einsamen Wachsoldaten betreten werden durfte und diesen mit ihrer Tristesse so schwer aufs Gemüt drückte, dass viele von ihnen sich umbrachten. Erst damit ist, wie die tschechische Nachrichtenagentur ČTK dazu bemerkte, im Böhmerwald der Eiserne Vorhang wirklich gefallen.
Ungefiltert, naturtrüb
In Pilsner Bierkellern und auf Pilsner Plätzen regiert noch das menschliche Maß
Das also ist er wohl, der magische Moment. »Na zdraví«, sagt der junge Mann in der grünen Weste, der seine langen roten Haare zu einem Zopf gebunden hat. Mehr als eine Stunde lang hat er die Gruppe durch Hallen, Säle und Gänge geführt, vorbei an der gigantischen Flaschenfüllanlage, an kupfernen
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