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Lesereise Tschechien

Lesereise Tschechien

Titel: Lesereise Tschechien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Brill
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Prager Off-Theater kam die Erschießung von achthundert Deutschen 1945 in Postoloprty, vormals Postelberg, auf die Bühne. Partnerschaften florieren, Tschechen und Deutsche, sehr oft Sudetendeutsche, beten und musizieren miteinander, löschen gemeinsam Feuer und Durst, renovieren gemeinsam alte Kirchen und Wegkreuze, auch im Böhmerwald. Gerade dort, ein ganzes Buch ist dazu erschienen, zweisprachig, vorne springt ein Stifter-Vers ins Auge: »Má sladká zemi, kraji nádhernych lesu.« O süßes Land, du Land der herrlichen Wälder.
    Dass gerade Stifter, wiewohl in Tschechien nicht sehr bekannt, in seinem Jubeljahr 2005 zur Kristallisationsfigur wurde, dass viele ihn als »eine literarische Brücke« betrachten – es will auch Peter Becher so scheinen, dem Geschäftsführer des Adalbert-Stifter-Vereins in München. In Oberplan sowieso, dort ist Stifter auch Namensgeber eines zweisprachigen Studien-, Bildungs- und Begegnungszentrums, das der gebürtige Oberplaner Horst D. Löffler 2003 gegründet hat – zweite Vorsitzende des Trägervereins ist Lenka Hůlková.
    Regelmäßig finden dort die Oberplaner Gespräche statt, eine von etlichen bemerkenswerten tschechisch-deutsch-österreichischen Dialogrunden; es tagte dort auch schon der Böhmerwäldler Heimattag für jene Heimatverbliebenen, die 1945/46 als Deutsche nicht vertrieben wurden. Und einmal wöchentlich probt im Stifter-Zentrum der gemischte Chor von Horní Planá, die Polizei hat auch schon hier gefeiert.
    »Die Menschen sind schon viel weiter, als die Politiker glauben«, sagt Horst Löffler, der nach eigenen Worten im Ort »als Oberplaner akzeptiert« ist, auch wenn die Kommunisten als Oppositionspartei im letzten Kommunalwahlkampf gegen ihn gestänkert haben. Vor Jahren hat Bürgermeister Hůlka ihn gefragt, ob er nicht im Neubauviertel bauen wolle, aber Löffler hat abgelehnt. Bleibt lieber in Stuttgart, und ähnlich sehen das nach seinen Worten auch viele andere Sudetendeutsche. »Die tschechische Bevölkerung hat ihre Angst verloren vor den Vertriebenen, wir haben hier überhaupt keine Probleme.« Probleme haben in Löfflers Augen vielmehr die Hardliner der tschechischen Politik und des Bundesverbands der Sudetendeutschen Landsmannschaft. »Die stehen sich gegenüber und wissen im Grunde genommen nicht, wie soll man denn jetzt miteinander umgehen«, sagt Löffler, der stellvertretender Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Baden-Württemberg ist.
    Für ihn ist Oberplan die alte Heimat, wenn sie die alte auch nicht mehr ist. Gewiss, das Rathaus, die Kirche, der Pranger am Anger – wie ehedem. Aber wie würde ein Stifter jene Seite des großen Platzes sprachlich veredeln wollen, auf der das Plätschern des Brunnens sich dem Klackern der Kugeln im Bowling-Restaurant akustisch anvermählt, dieweil ermattet der Blick vom blassen Gelb des klotzigen Supermarkts abgleitet ins alarmierende Orange der neuen Poliklinik? Oder dieses: Schreitet man hügelan gegen Morgen, so gelangt man auf der Höhe zur früheren Stifter-Fichte, die vor Jahren ein Sturm zerbrochen hat. Stille herrscht, und schließt man die Augen, vernimmt das Mittagsläuten, das Gezirp der Feldinsekten, das Rauschen notabene, man könnte glauben, zurückversetzt zu sein … und wenn man sie dann wieder öffnet, erblickt man unweit eine Gokart-Bahn, Asphalt in der Natur, mit weiß und rot getünchten Autoreifen ausgelegt.
    Je nun, soll Horní Planá stehen bleiben? Das Städtchen, zweitausenddreihundertsechzig Einwohner, hundert Quadratkilometer Fläche, ist jedes Jahr zwei Sommermonate lang das Ziel Zehntausender Wald- und Wasserurlauber, gut beschäftigt, im Winter aber stehen viele Betten leer, die Arbeitslosigkeit liegt bei achtzehn Prozent. Kläranlage, Gas- und Wasserleitung, Fernheizung, Sonnenkollektoren, das sind so Fragen, mit denen der parteilose Bürgermeister Jiří Hůlka sich seit mehr als zehn Jahren befasst. Sein Plan, mit einem Anschluss ans benachbarte österreichische Ski-Areal Hochficht auch am Wintersportgeschäft zu partizipieren, stieß auf den Widerstand von Naturschützern. In seinem Amtszimmer hat Jiří Hůlka übrigens ein altes Landschaftsgemälde hängen, es zeigt das Moldauherz.
    Natürlich weiß Hulka auch, welch »riesige Bedeutung« für Horní Planá Stifter hat, wie heilsam der Poet im Euro-Dreieck Böhmerwald und weit darüber hinaus »als integrierende Persönlichkeit« wirkt. Wie schön auch, dass Stifter als Achtzehnjähriger ein hübsches

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