Lesereise Zypern
draußen. Der stand vor seinem Pick-up und blickte hoch. »Nein, Radkappen können Sie erst wieder Montag früh in den Autowerkstätten in Pafos kaufen«, war seine glasklare Antwort. Doch er hatte noch einen Tipp bereit, der ein wenig seine Denk- und Lebensweise widerzuspiegeln schien. »Bei der Rückgabe des Autos stellen Sie sich einfach auf die andere Seite, auf die, wo noch beide Radkappen da sind«, riet der Zypriot. »Vielleicht merkt es niemand.«
Die beiden Fremden waren überrascht. So viel praktische Weisheit hatten sie nicht erwartet. Als ordentliche Ausleiher verwarfen sie jedoch diese Option bald. Inzwischen rollte das Drei-Radkappen-Auto in die Vororte von Pafos. Die Autosalons strahlten im Licht der Scheinwerfer. Werkstätten hatten längst geschlossen. Henry hielt vor einem schicken Ersatzteilverkauf. Hunderte von Radkappen in allen Farben und Formen leuchteten durch die riesige Glasfront. Bei dem Schild der Öffnungszeiten wurde es dann düster: Montag ab acht Uhr dreißig. Den Leihwagen aber sollten sie schon Sonntag um zehn Uhr zurückgeben.
Ohne die Radkappe erreichten sie das Hotel. Am Sonnabend tankten sie an einem Automaten, denn wenigstens der Tank sollte voll sein. Schon flackerte die nächste Frage auf: Wie viel passt noch hinein? Zwanzig Euro investieren, und der Tank läuft über – das wäre zu schade. Zehn Euro hineinschieben in den Schlitz am Tankautomaten, und die Tankanzeige steht hinterher nicht ganz oben – das wäre dumm. Ein junger Mann, der sich als Tankhelfer zu erkennen gab, wusste Rat. Er schaute auf die Anzeige im Armaturenbrett und verriet: »Das sind zehn oder zwanzig Euro, die da an Benzin reinpassen.« Bravo!
Während Henry erst einmal für zehn, dann noch einmal für zehn Euro Benzin in den Tank laufen ließ, verwickelte Jürgen den Mann in das Radkappen-Problem. »Ja, drinnen im Laden gibt es welche«, bestätigte er und riet, doch morgen früh um sechs Uhr fünfzehn hier zu sein, dann komme sein Chef und hole das Geld aus den Automaten. »Der schließt den Laden auf und verkauft Ihnen die Radkappe, wird etwa fünfzehn Euro kosten«, prophezeite der Tankhelfer.
Die Idee, am Sonntag um sechs Uhr fünfzehn an einer verlassenen Tankstelle auf Zypern auf einen Chef zu warten, verwarfen die beiden dann doch. Lieber wollten sie bei der Übergabe offensiv auf den Verlust der Radkappe eingehen. Mietwagenanbieter sind schließlich einiges gewohnt. Sie müssen eine Extraversicherung mit dem Kunden abschließen, wenn er in den türkisch besetzten Norden der Insel fährt. Bei einem Unfall werden trotzdem nur Schäden am anderen Auto ersetzt, nicht am Leihwagen, wie der Vermieter erläutert hatte. Fahrer unter fünfundzwanzig Jahren, die weniger als drei Jahre den Führerschein haben, müssen sich ebenfalls extra versichern. Von einer Radkappen-Versicherung war natürlich nie die Rede, warum auch?
Es wird Sonntag. Jürgen hat sich die Fotos noch einmal angesehen. Das rote Auto mit den Schrammen ist aus mehreren Winkeln zu sehen. Nur eine Ansicht fehlt – die vorn links. »Das heißt, wir wissen nicht einmal genau, ob bei der Übernahme da überhaupt eine Radkappe dran war«, prustet er hervor. Es wird neun Uhr dreißig. »Immerhin können wir den vollen Tank zeigen«, sagt Jürgen, der Henry jetzt minutiös auf das Übergabegespräch mit dem Autoverleiher vorbereitet hat. Es ist zehn Uhr. Er steht im Foyer des Hotels. Was für ein Moment, auf den mehr als vierundzwanzig Stunden alles zugelaufen war! Der lächelnde, wendige Mann hat schon die fünfundsiebzig Euro Benzinkaution abgezählt in der Hand. Er drückt sie Henry vertrauensvoll in die Hand, bevor der überhaupt den Schlüssel übergeben hat, und sagt: »Das Auto steht ja da, alles okay.« Jürgen und Henry pocht das Herz. Sie wollen zu einer ihrer sorgsam vorgefertigten Erklärungen ansetzen. Jetzt stehen sie verblüfft da. Sie drücken ihm den Autoschlüssel in die Hand und pressen ein »thank you« hervor. Der Verleiher lächelt noch und verschwindet ein paar Sekunden später mit freundlichen Grüßen. Er muss zum nächsten Termin. Liebenswert, diese Zyprioten.
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Der grüne Bücherschrank steht draußen vor der Tür. Der Leiter des Goethe-Instituts in der Markos Drakos Avenue in der geteilten Hauptstadt Nikosia hat ihn beim Aufräumen im Haus gefunden und gesagt: »Da sollen Bücher von uns hinein, kostenlos für jeden zum Mitnehmen und
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