Lesereise Zypern
auf der Autobahn! Schlaumeier haben ausgerechnet, dass Zypern die höchste Autobahndichte in der Europäischen Union hat: Die 341,6 Kilometer Autobahn der Insel verteilt auf die im Süden lebenden achthundertfünfundachtzigtausend Bewohner ergibt für jeden von ihnen achtunddreißig Zentimeter Autobahn (im Norden gibt es keine). In Deutschland sind es hingegen nur 15,6 Zentimeter. Aber das ist pure Taschenrechnerei. Viel wichtiger: Es sind keine Mautgebühren zu zahlen. Es darf höchstens hundert Stundenkilometer auf Autobahnen gefahren werden. Es ist verboten, während der Fahrt zu telefonieren und zu rauchen.
Der rote Flitzer wird nun doch langsam seinem Namen gerecht: Auf dem Highway nach Osten Richtung Larnaka geht es bergab. Die Hunderter-Marke hat er hinter sich gelassen, da überholt ein Zypriot. Radarschilder tauchen auf. Der Fremde geht vom Gas, der Einheimische senkt seinen rechten Fuß tiefer. Die Blicke aus dem vorbeiziehenden Auto auf den langsamen Ausländer mit dem Leihwagen sind böse. Es scheint ein wichtiger Geschäftstermin zu sein, vielleicht im fernen Nikosia, der den Mann am Steuer beschleunigen lässt. Bloß nicht aufhalten lassen von diesen langsamen Ausländern, könnte er denken. Ein Leihwagen ist sofort an seinem Nummernschild zu erkennen: Es ist orange und trägt schwarze Schrift. Die Privatautos haben weiße Nummernschilder mit schwarzen Buchstaben und Zahlen.
Später, als die beiden im Dunkeln aus dem Gebirge auf einer Nationalstraße ins Tal hinabfahren, ist es ein Zypriot, der so langsam vor dem roten Flitzer herfährt, dass Henry ständig bremsen muss. Diesmal haben es die beiden jedoch eilig. Überholen ist auf fünfzig Kilometern wegen der Kurven nicht möglich. Endlich sehen sie die Person im Gegenlicht durch die Scheiben ihres Autos. Der Schatten verrät: Sie hat das Handy am Ohr. Vielleicht erklären sich so auch die kleinen Schlenker in den Gegenverkehr.
Tage später, als Jürgen und Henry in der Stadt Polis ihren Kompaktwagen in einer Lücke geparkt haben, fällt ihnen auf: Die Radkappe links vorne fehlt. Den ordentlichen Deutschen geht durch den Kopf, wie peinlich nun die Rückgabe des Autos sein muss. Wie sollen sie das begründen? Wie können sie da ohne Zuzahlung herauskommen? Wo könnten sie vielleicht eine nachkaufen, die genau auf dieses Rad passt? Es ist Freitagabend.
»Lass uns zum Campingplatz zurückfahren, wo wir während unserer Wanderung geparkt haben«, schlägt Jürgen vor, »da muss sie auf dem steilen Wegstück abgefallen sein.« Tatsächlich hatte Henry das Auto vielleicht nicht ganz vorschriftsmäßig am Rande einer Grünfläche geparkt, bevor sie auf der Akámas-Halbinsel zu einer Rundwanderung aufbrachen. Die Dauercamper unter den Bäumen wirkten irgendwie unzufrieden, doch warum sollten sie eine Radkappe stehlen?
War es die Aussicht, die fünfzehn Euro, die so eine Radkappe kosten kann, zu sparen oder der sportliche Ehrgeiz, das Auto wieder vollständig zurückzugeben? Henry und Jürgen fuhren die paar Kilometer von Polis nach Westen an der Küste entlang bis zum Endpunkt, wo sie geparkt hatten. Es dämmerte schon – draußen. Ihnen dämmerte, dass sie selbst mit der Strahlkraft des Handys im Gebüsch rechts und links des Weges sowie am früheren Parkplatz des Autos keine Radkappe finden würden. Allerlei Unrat geriet in die beiden Lichtkegel aus den Mobiltelefonen, aber von Autoteilen, die auch nur entfernt an Radkappen erinnern würden, war nichts dabei. Sie fuhren zurück Richtung Polis, denn da sollte es eine Tankstelle geben. »Vielleicht haben die Radkappen«, hoffte Jürgen.
Sie hatten nicht nur keine Radkappen, sie hatten vor allem gerade geschlossen. Um achtzehn Uhr und am Wochenende wird auf Automatik umgestellt. Das ist bei den meisten Tankstellen der Insel so. Von da an schiebt man Euroscheine in einen Schlitz. Das Benzin sprudelt so lange, bis das Geld aufgebraucht ist. Diese Prozedur stand den beiden Autoausleihern morgen bevor, denn sie wollten den Wagen aufgetankt zurückgeben, um die hinterlegte Kaution von fünfundsiebzig Euro für die Tankfüllung zu erhalten. Doch jetzt stand ihnen der Sinn nach Radkappen.
Der lange Weg durch die Berge zurück Richtung Pafos gab den beiden Gelegenheit, alle Rückgabevarianten für das Auto mit und ohne Radkappe gedanklich durchzuspielen. Plötzlich war links Licht in einer Art Werkstatt zu erkennen. Sie hielten. Als die Frau im Laden erfuhr, was die beiden wollten, zeigte sie auf einen Mann
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