Lesereise Zypern
Lesen. Dafür kann jeder wieder andere Bücher mitbringen und hineinstellen.« Dieser offene Bücherschrank ist der Renner geworden. Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche steht die deutsche Literatur jedermann gratis zur Verfügung. Es ist das Jahr der offenen Büchertür. Da wartet neben dem »Tod in Venedig« die »Konferenz der Tiere« auf neue Leser. Werke deutscher Schriftsteller stehen neben einem Reiseführer über die Ostseeküste. Es liegen Videos und DVD s auf den Brettern. Bildbände und Kochbücher, Fachbücher sowie Romane – alles dient dazu, sich vom Deutschen faszinieren zu lassen.
Das tun immer mehr Menschen auf Zypern – sowohl im türkisch besetzten Norden als auch im griechischen Süden der Insel. Und Goethe liegt sozusagen mittendrin. Zwischen den Linien, zwischen der türkischen und der griechischen Seite, da öffnet sich das Institut allen. So versteht es sich auch – Goethe im Niemandsland. Das heißt neutral sein, erreichbar für alle. Die Besucher können hier Lesestoff und Deutschkurse finden, Kultur und Anregung, ohne sich schrägen Blicken aussetzen zu müssen, ohne durch den Eintrag in Kontrolllisten stigmatisiert zu werden, die später bei irgendwelchen Geheimdienstaufsehern landen.
Rund dreihundert Schüler gibt es jetzt, die hier im Niemandsland Deutsch in den Kursen des Goethe-Instituts lernen. Um zwanzig Prozent sind die Zahlen in jüngster Zeit gestiegen. Deutsch ist gefragt. Viele wollen wissen: An welcher deutschen Universität kann ich am besten Medizin studieren? Welche liegt im Schiffbau auf Platz eins? Die Lehrer am Institut tun sich meist schwer, darauf zu antworten. Sie wissen, das Denken in solchen Wertungsskalen kommt aus den USA und Großbritannien. Doch diese Länder haben ihre Studiengebühren drastisch erhöht. Sie sind nicht mehr das uneingeschränkte Ziel junger Menschen aus aller Welt. So wollen auch viele Zyprioten gern nach Deutschland. Manche haben vor, als Arzt oder Ingenieur wieder zurückzukommen. Andere träumen von fernen Ländern, vom Arbeiten im Wirtschaftswunderland, wozu sie Deutschland an erster Stelle zählen.
Hier sind Deutsch als Fremdsprache oder das Goethe-Zertifikat C 2 gefragt, die zentrale Oberstufenprüfung, das Kleine oder das Große Deutsche Sprachdiplom. Dies ist der sprachliche Türöffner, um für deutsche Hochschulen zugelassen zu werden. Das wollen die meisten Schüler, abgesehen von denen, die sich vielleicht besser mit deutschen Touristen unterhalten und sie auf Zypern in deren Sprache willkommen heißen wollen.
Björn Luley, der Leiter des Goethe-Instituts, sitzt in seinem Büro in dem alten Haus zwischen den Linien und erzählt, was er bei seinem Amtsantritt im Juni 2011 dort vorfand, denn das Institut war 1999 geschlossen und als Goethe-Zentrum weitergeführt worden. Er hat nicht nur den Bücherschrank beim Aufräumen gefunden. Er hatte kein Geld für eine Bibliothekarin und wagte einen mutigen Schritt: Er löste die eigentlich bereits 1993 geschlossene Bibliothek ganz auf. So kamen auch einige der Bücher in den grünen Schrank draußen. Viele Hundert aber gab er der Deutschabteilung an der University of Cyprus in Nikosia. Die fiel ihm sozusagen um den Hals. »Wir sind überglücklich«, gluckste der Direktor und dankte dem Schenker bei einer großen Feier. »Wir hatten ein oder zwei Ausleihen im Monat«, gibt Luley in kleiner Runde zu, »jetzt haben die Bücher an der Uni eine größere Wirkung.« Manche Bücher waren noch in Plastikfolie verschweißt – also nie ausgeliehen und gelesen worden. Ähnlich verfuhr er bei den Schallplatten, die teilweise noch aus den sechziger Jahren stammten. Musikliebhaber legen die Raritäten jetzt auf und erfreuen sich zum Beispiel an frühen Aufnahmen mit Daniel Barenboim.
In Luleys Büro tut sich etwas. Auch hier wird aufgeräumt. Die dicken Kabelstränge an den Wänden sind verkleidet. Ein schickes Goethe-Plakat ziert die dunkle Holzvertäfelung. Darauf ist ein Frauenarm zu sehen, der sich liebevoll um den Hals einer schlohweißen Büste des deutschen Denkers legt. Diese hübsche Geste scheint ein Synonym für das Haus zu sein. Es versprüht den Geist des Aufeinanderzugehens, des gegenseitigen Verstehens und des geneigten Umgangs miteinander. Gerade Deutschland mit seiner Erfahrung eines geteilten und dann wieder vereinigten Landes hat Zypern viel zu bieten – kulturell vor allem. »Menschliches Zusammenleben ist eine kulturelle Leistung«, unterstrich der
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