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Lesley Pearse

Lesley Pearse

Titel: Lesley Pearse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo das Gluck zu Hause ist
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diesen Gedanken im Hinterkopf wandte sie sich den Jungen zu. Mit ihren endlich einmal sauberen Gesichtern und ihren zitternden Körpern sahen sie bedauernswert aus. Matilda zog die Bank zum Feuer und forderte sie auf, sich hinzusetzen.
    »Die Jennings haben nie Hundedreck gesammelt«, erklärte sie streng, die Hände in die Hüften gestemmt. »Die Jennings waren immer Fährmänner. Ein Fährmann zu sein ist ein sehr respektables Gewerbe, so wie Schreiner oder Baumeister, und in unserer Familie wird dieser Beruf seit sechs Generationen vom Vater an den Sohn weitergegeben. Was glaubt ihr denn, was Vater sagen wird, wenn ich ihm erzähle, was ihr gemacht habt?«
    »Er wird uns windelweich schlagen«, jammerte George mit angsterfülltem Blick. »Ihr hättet es wahrhaft verdient«, Matilda nickte. »Hundedreck sammeln nur Bettler. Es ist noch schlimmer, als im Abfluss nach Müll zu suchen, und niedriger, als Geldbörsen zu stehlen. Wir Jennings haben zwar nicht viel, doch immerhin haben wir unseren Stolz. Ihr zieht unseren Familiennamen in den Schmutz!«
    »Aber wir haben doch nur an dich gedacht«, meinte Luke weinerlich. Mit seinem roten Haar und seinem weißen Gesicht sah er im Feuerschein plötzlich sehr verletzlich und engelsgleich aus. »Wir wussten, dass du das Geld brauchst.«
    »Euer Vater und ich verdienen genug, um euch zu versorgen«, erwiderte Matilda etwas sanfter gestimmt. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie noch kleine Jungen waren. »Wir möchten nur, dass ihr jeden Tag zu Miss Agnew geht, damit ihr Lesen und Schreiben lernt wie ich. Dann könnt ihr später ein anständiges Gewerbe erlernen.«
    »Dir hat das Lesen und Schreiben doch auch nichts gebracht. Du bist nur Blumenverkäuferin«, meinte Luke aufsässig. »Das kann man sogar als blinder Krüppel.«
    »Es ist vielleicht alles, was ich jetzt machen kann, aber wenigstens verkaufe ich nicht wie andere junge Mädchen meinen Körper.« Matilda war wütend. Luke war ein grausamer Bursche, und er hatte ein außerordentliches Talent, sie zu verletzen. »Ich gehe jeden Tag in feine Viertel, es ist saubere Arbeit, und die Blumen riechen schön. Reiche Damen und Gentlemen kaufen bei mir.«
    Luke schaute nur verächtlich, wobei seine kantigen Gesichtszüge sehr denen der Ratten glichen, die an der Treppe entlanghuschten. Seinem ehrlichen und gütigen Vater glich er in keiner Weise.
    »Ich mag die Schule nicht«, sagte George mit Tränen in den Augen. »Ich kann überhaupt nichts, und dann schlägt Miss Agnew uns auf die Ohren.«
    Matilda seufzte tief. George war langsamer als sein Bruder, und sie bemitleidete ihn. Es gab keine richtigen Schulen für die wirklich Armen. Es gab nur Ordensschulen, in denen Frauen wie Miss Agnew ihre rudimentären Kenntnisse an diejenigen Kinder weitergaben, die den erforderlichen Halfpenny mitgebracht hatten. Matilda hatte auch bei Miss Agnew Schreiben und Rechnen gelernt, und sie wusste, wie grausam sie sein konnte, doch das war es ihr wert gewesen. Matilda las alles, was sie in die Hände bekam, meistens religiöse Abhandlungen und Fetzen aus der Zeitung, die sie auf der Straße fand, weil Bücher einfach zu teuer waren. Letzte Woche hatte sie sich jedoch die erste Nummer von Oliver Twist von Mr. Charles Dickens gekauft, und sie konnte die zweite Hälfte kaum erwarten.
    Sie hatte eine schöne Handschrift und konnte addieren und multiplizieren. Wenn sie Arbeit in einem Geschäft finden würde, bräuchte sie sich nicht mehr zu sorgen. Das Problem war jedoch, dass keiner sie auch nur als Küchenmagd beschäftigen würde, solange sie nicht anständige Kleidung trug, die sie sich jedoch nicht leisten konnte. Es war ein Teufelskreis, aus dem sie nicht herauskam.
    »Wenn ihr euch ein bisschen mehr bemüht, wird Miss Agnew euch nicht mehr schlagen«, entgegnete sie niedergeschlagen. »Jetzt versprecht mir, dass ihr morgen hingeht. Sonst erzähle ich Vater alles.«
    Sie gaben ihr das Versprechen, aber sie wusste, dass es ein leeres war. Ein wenig Geld zu verdienen war für sie weitaus befriedigender als zu lernen. Vielleicht gaben sie das Hundedrecksammeln erst einmal auf, aber sie waren sicher mit den anderen Bengeln bald wieder an der Themse und suchten nach Dingen, die sie an die Seemannsgeschäfte verkaufen konnten: Nägel, Metallstückchen, Knochen und Holzstücke. Sie hätte genauso gut einer Wand zureden können.
    »Dann her mit dem Sixpence«, forderte Matilda mit ausgestreckter Hand. »Und zieht eure nassen Sachen aus, ich

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