Letzte Aufzeichnungen
dies weiß, ja auch gar nicht wissen kann, da es eben mich nicht nur seit heute tief bewegt.
In meiner persönlichen Erklärung vom 3. Dezember 1992 habe ich das gesagt, was ich dachte sagen zu müssen. Aber die Welt bleibt ja nicht stehen, jeden Tag kommen neue Fragen, und außerdem hat meine Einlassung, dass ich nicht die Absicht habe, mich vor diesem Gericht zu verbiegen, nicht zur Folge, dass ich zu allem schweige, was die neuen Herren gegenüber der DDR, der Partei und über mich persönlich so loslassen. Dies geht von der russischen Kriegsgefangenschaft bis hin zu überhöhten Strafen bei Ausreisenden durch Gerichte der DDR.
Ich trage persönlich Verantwortung für den »Bau der Mauer«, sagten sie. Ich bin an allem Schuld, was in den letzten 40 Jahren passiert ist. Auf meinen Hinweis auf mein Alter kam die Antwort, das könne nicht sein, ich hätte mich immer im Kreis der hohen Persönlichkeiten bewegt. Von 1950 bis 1958 war ich nur Kandidat des Politbüros – also ohne Stimmberechtigung. Ja, aber ich sei ja Mitglied des Zentralkomitees gewesen.
Ich: ja – aber Mitglieder des Zentralkomitees waren viele. Sollen die auch in den Prozess einbezogen werden?
Die höchste Instanz in der DDR sei doch das »Politbüro« gewesen.
Das stimmt nicht, sagte ich. Die höchste Stelle in der SED war stets das Zentralkomitee. Das kann man im Statut der SED nachlesen. In der Partei das Zentralkomitee, im Staat der Staatsrat, die höchste Instanz in der DDR aber war die Volkskammer. Also eine Diktatur, wie man sie der DDR unterstellt, hat so nicht existiert.
So ging das uferlos weiter.
Die nächste Frage zielte darauf, ich sei überall dabei gewesen. Das stehe in der Anklageschrift, ist aber nicht wahr, sagte ich.
Ich nahm auch nicht an der Sitzung des Politisch Beratenden Ausschusses am 3.-5. August in Moskau teil, obwohl das Gegenteil behauptet wird. Ich war ab Mitte Juli im Urlaub.
Weder im Politbüro noch im Nationalen Verteidigungsrat der DDR ist der Plan zur Grenzschließung in der Nacht vom 12. zum 13. August vorher besprochen worden, es gab nur Informationen zur Sicherung der Staatsgrenze. Alles andere habe ich erst später erfahren.
Vorbereitet haben das Marschall Konew, Tschuikow, Werschinin, Jakubowski, Hoffmann – mehr wisse ich nicht, sagte ich.
Das wolle man mir mal glauben.
Was soll dieses ganze Gerede?
Ich muss für heute Schluss machen, obwohl mir das alles durch den Kopf geht. Auch das Medizinseminar. Auch wenn sie mich aus medizinischen Gründen entlassen sollten – die Beschuldigung wird bleiben.
Dies, und das ist mein Standpunkt, darf so nicht bleiben, es darf so nicht weitergehen. Ich bin gespannt, wie das ausgehen wird.
Nachtrag
Der Berliner Staatsschutz und das Personal der Lufthansa-Maschine, die Honecker von Berlin-Tegel nach Frankfurt brachte, arbeiteten korrekt und professionell. Dennoch befand sich unter seinem Sitz ein Mikrofon und waren Richtmikrofone installiert. In Frankfurt wurde Honecker von uniformierter Polizei in einen besonderen Raum gebracht und informiert, dass fünfzehn Attentatsdrohungen vorlägen.
Zur Maschine nach Chile wurde er im Panzerwagen aufs Rollfeld gefahren. Im Flugzeug wurden zuvor die Passagiere befragt, ob sie mit dem prominenten Mitreisenden einverstanden seien, was objektiv zu einer erhöhten Gefährdung führe. Alle sprachen sich für Honeckers Verbleib in der Maschine aus.
Die Maschine erreichte Chile mit drei Stunden Verspätung, Honecker hatte während des langen Fluges etwa sechs Stunden geschlafen. Bei der ersten Untersuchung in Santiago stellten die chilenischen Ärzte ein weiteres Wachstum des Tumors fest. Eine Operation stellte ein unvertretbar großes Risiko dar. »Lange mache ich nicht mehr«, erklärte er gegenüber Bekannten, die ihn begleiteten.
Erich Honeckers letzter Ausweis, ausgestellt in Chile, befristet für ein Jahr
Unmittelbar nach seiner Ankunft erhielt er ein Schreiben aus Berlin.
»Sehr geehrter Herr Honecker!
In der Strafsache gegen Sie wegen des Verdachts des mehrfachen Totschlags hat das Kammergericht am 13. Januar 1993 die Einstellung des Verfahrens aufgehoben. Der Tenor dieses Beschlusses ist Ihnen noch unmittelbar vor Ihrem Abflug übergeben worden.
Mehrere Prozessbeteiligte haben die Fortsetzung der Hauptverhandlung beantragt. Dementsprechend ist Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung für den 8. Februar 1993, 9.30 Uhr im Saal 500 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit, Turmstr. 91, anberaumt worden.
Für den
Weitere Kostenlose Bücher