Letzte Ausfahrt Neckartal
Wagen zu finden. Denn es konnte nicht sein, dass ein popeliger Kleinwagen, womöglich ein ausländischer Schuhkarton, seinem BMW 318 i den Strom für den Startvorgang zur Verfügung stellte. Eher würde er die sieben Kilometer zu Fuß nach Hause gehen.
Mehmet kletterte aus dem BMW und stieß ein paar Flüche gen Himmel. Er hoffte inständig, dass ihm keiner dabei zusah, wie er um Starthilfe bettelte. Aber es war wie verhext. Nicht ein Auto fuhr an die Zapfsäule, niemand bog auf den Parkplatz ein. Bald lähmte der Nieselregen seine Antriebskraft, und der kalte Wind zerrte an seinem dünnen weißen T-Shirt. Er setzte sich in den BMW , ließ jedoch die Fahrertür offen stehen.
Minuten später tauchten im Rückspiegel ein Paar Autoscheinwerfer auf, die schnell größer wurden. In Mehmet keimte Hoffnung auf, die jedoch nicht lange währte. Bei dem Wagen handelte es sich um einen grasgrünen Ford Fiesta mit Hamburger Kennzeichen, der zu allem Übel einen Parkplatz in seiner Nähe ansteuerte.
Aus den Augenwinkeln beobachtete Mehmet einen älteren Mann mit einem silbernen Haarkranz um seine Halbglatze, der sich umständlich abschnallte.
Eine gefühlte Ewigkeit später stieg der Mann aus und schaute zu ihm herüber.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er mit einer klanglosen, brüchigen Stimme.
»Klar, Opa, alles paletti«, entgegnete Mehmet und schlug die Fahrertür zu. Ford Fiesta – welche Schmach würde die Nacht noch für ihn bereithalten?
Er wartete, bis der Mann durch den Eingang zur Toilette verschwunden war, und versuchte ein weiteres Mal, seinen BMW zu starten. Diesmal reagierte der Anlasser nur mit einem leisen Klacken.
Vielleicht war es doch nur ein loses Kabel. Mehmet entriegelte die Motorhaube und stieg aus, um die Verkabelung im Motorraum zu überprüfen. Sein Blick fiel auf ein fingernagelgroßes grellgelbes Etwas am Boden. Er bückte sich und musterte das winzige Stück Kunststoff: ein Chip mit fünf parallelen Metallstreifen und auf einer Seite eine abgeschrägte Kante. Natürlich – eine SIM -Karte für ein Mobiltelefon.
Mehmet zog sein Motorola Klapphandy aus der Mittelkonsole und tauschte die SIM -Karten. Und tatsächlich: Die neue funktionierte, war nicht durch eine PIN geschützt und zeigte als Guthaben achtundvierzig Euro an. Der Abend meinte es doch noch gut mit ihm.
Jetzt konnte er Hedi anrufen. Sein Kumpel würde vorbeikommen und ihm Starthilfe geben. Mehmet wählte die Nummer, die er schon seit Jahren auswendig kannte, und lauschte den Wahltönen. Mit jedem verhallenden Klingelton schrumpfte seine Zuversicht. Doch plötzlich knackte es am anderen Ende.
»Hedi?«, rief er schnell.
»Ja«, kam mit einiger Verzögerung die verschlafene Stimme Hedis aus dem Hörer.
»Was geht?«
»Bist du das, Mehmet?« Hedis Stimme klang nur wenig aufnahmebereiter.
»Klar, Kumpel. Was machstu?«
»Schlafen. Es ist drei Uhr morgens.«
»Schon?«
»Ja, seit über zehn Minuten.«
»Du, Hedi, hab Problem.«
»Schon wieder?«, kam es mit einem lang gezogenen Seufzer aus dem Telefonhörer. »Das letzte Problem hattest du mit dem Russen, der dir diese Scheißkarre …«
»Nix Scheißkarre, is BMW drei achtzehn i.«
»Also, welches Problem?«
»Auto lauft nix an.«
»Wo bist du?«
»Raststätte – kannstu Starthilfe gebe?«
»Muss das sein?«
»Ja, muss sein«, sagte Mehmet energisch. Wieder regte sich der Zorn auf den Verkäufer des BMW s in ihm. Denn inzwischen war der Typ auch daran schuld, dass Vanessa nichts von ihm wissen wollte und er hier alleine im Nieselregen herumstehen musste. Wütend auf den Russen und das Auto sagte er: »Aber weisstu, was ich morgen mach?« In seiner Rage ließ Mehmet die Antwort gleich folgen. »Isch lass diese Scheiß-Russen alle hochgehen, isch schwör. So wie Tschetschenen in Theater Moskau. Nix mehr nur labern, sondern des macht nächste Tage richtig großen Knall, ohn Scheiß.«
»Inschallah, aber wie willst du das anstellen?«
»Schon vorbereitet – verlass dich drauf. Scheiß-Russen, is Krieg. Und isch werd gewinnen. Also kommstu?«
»Klar, Mehmet, ich helfe dir«, versprach Hedi und beendete das Gespräch.
Mehmet klappte sein Mobiltelefon zusammen. Nach dem Wutausbruch ging es ihm besser. Und bald würden sein Kumpel und er das Auto wieder zum Laufen bringen. Zufrieden ließ er die Motorhaube ins Schloss fallen.
Vor ihm tauchte erneut der ältere Mann mit Halbglatze auf. Er hielt inne und warf ihm ein hilfsbereites Lächeln zu. »Ist immer noch
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