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Letzte Beichte

Letzte Beichte

Titel: Letzte Beichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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sie zu viel geschmust hatte und spazierengegangen war. Wusste, dass er alles zerstören würde, so wie er auch das Bootshaus in Cornwell, das Baby in Oxford und die Brüste in Crinan zerstört hatte (ehe er deren Besitzerin die Kehle durchgeschnitten und dreiundzwanzigmal auf sie eingestochen hatte).
    Und sie wusste, dass er immer wieder Menschen finden würde, die er verschlingen und blutig verteidigen konnte – und dass Krissie Donald seine nächste Auserwählte war.
    Anne sitzt an ihrem Tisch in den Clyde View Apartments und beobachtet Jeremys Gesicht, das erst schockiert wirkt, dann unbehaglich, dann ziemlich verzweifelt. Das um sein Leben kämpft, bettelt, keucht. Die Sache zieht sich hin, und sie lässt ihn nicht aus den Augen, denn sie hat ihn schon einmal aus dem Augen gelassen, und diesen Fehler wird sie nie wieder begehen.
    Er schaut sie fast die ganze Zeit an, aber manchmal schaut er ins Nichts, wenn er daran denkt, dass dies das letzte Mal sein könnte, dass er Luft holt, mit einem qualvollen Geräusch, aber ohne um sich zu schlagen – weil er es vielleicht doch nicht in sich hat. Er ist schwach, und jetzt ist ihm wirklich sehr, sehr schlecht, Mutti.
    Anne hält ihn jetzt sanft bei den Händen. Der Blick ihres Sohnes wird weicher, und zum ersten Mal seit vierundzwanzig Jahren sieht Anne die Augen, die sie weinen ließen vor Glück, als sie sich im Kreißsaal zum ersten Mal öffneten. Die Augen, die sie durchbohrten, als sich sein Blick von ihrer Brust hob. Die Augen, die auf der Babyschaukel glückselig strahlten, aus denen sie mit einem weichen gelben Waschlappen den Badeschaum gewischt hat.
    »Ich verzeihe dir, und ich komme mit dir«, flüstert Anne.
    Eine Träne rollt Jeremys Wange herab. Er lächelt seine Mutti an, und dann fällt sein Kopf in den Kartoffelbrei.

    Anne streichelt ihrem Jungen über das weiche Haar. Dann ruft sie die Polizei.
    »Hier sind zwei Tote in den Clyde View Apartments Nummer 12, Clyde Street, Glasgow«, sagt sie. »Jeremy Bagshaw … und Anne Bagshaw.«
    Sie legt auf und schaut den Jungen an, den sie damals in ihre Wohnung bei der Tower Bridge nach Hause gebracht hat, dem sie sein Zimmer und seinen Panda und seinen süßen, winzigen Strampler gezeigt hat. Sie küsst ihn auf den Kopf, dann nimmt sie einen großen Bissen von den Kartoffeln, die Jeremys Kopf umrahmen. Sie kaut, und man sieht, wie schwer ihr das Schlucken fällt, aber sie schafft es, siebenmal schafft sie es, mit der Gabel die luftige Kartoffelmasse abzukratzen, die ihrem lieben Jungen vom Gesicht trieft.
    Sie sitzt neben ihrem Sohn am Tisch, und noch einmal sind ihre Hände ineinander verschränkt. Jetzt sind sie bereit, »Herzlichen Glückwunsch, Bella« zu sagen.
    Herzlichen Glückwunsch. Herzlichen Glückwunsch.

[Menü]
61
    Als die Rettungshelfer Chas’ Hände gewaltsam lösen und ihm die Augenbinde abnehmen, bin ich mir sicher, dass er tot ist. Sein Gesicht ist grau anstatt weiß, und er bewegt sich nicht.
    Während der Fahrt vergieße ich meine Tränen auf ihn und jammere nutzlos herum, während der Krankenwagen in Richtung Krankenhaus rast. Ich kann nicht hören, was der Sanitäter sagt.
    Er ist irgendwas, hören Sie auf zu schreien, Sie müssen sich beruhigen, halten Sie den Mund. Bin ich gerade geohrfeigt worden? » ER IST AM LEBEN , HERRGOTT NOCH MAL !«
    Jetzt habe ich es endlich gehört, und meine Trauer macht einen Moment lang Pause. Kann ich ihr das erlauben? Kann es sein, dass er wieder in Ordnung kommt, mein Malermann, der mich in allem Schönen, das er jemals gesehen hat, abgebildet hat?
    Ich schwebe neben seiner Rollpritsche daher, und dann warte ich stundenlang in einem hellerleuchteten Gang. Andere Familien warten auch dort – einige nicht sehr lange, weil man ihnen gute Nachrichten bringt, andere länger, weil man ihnen keine guten Nachrichten bringt, und wenn sie gehen, dann ist es endgültig.
    Welche Nachrichten wird man mir bringen? Wird mein Chas hier sterben?
    Ich denke an Liebesgeschichten, an den ständigen Kreislauf des Sichtreffens und Neuverliebens. Werde ich Chas jemals wieder treffen und mich neu in ihn verlieben? In meinem gereinigten Hochzeitskleid auf ihn zugehen? Lächeln, wenn ich seinetwegen mein Sexspielzeug wegschmeißen kann? Zuihm hochschauen, wenn er die Nabelschnur unserer Tochter durchtrennt? Mir etwas ausdenken, nachdem er sich ein Motorrad gekauft hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass all unsere Freunde Langweiler sind?
    Es ist drei Uhr morgens, als der

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