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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mal wieder hin? Museen, Denkmäler, lokale Besonderheiten? Und in San Francisco die Golden Gate Bridge?
    «Haben Sie im Pazifik gebadet?»
    Sie saßen in demselben Zimmer, in dem Alexander damals mit seiner Magenverstimmung gerungen hatte. Ob inzwischen schon mal wieder einem schlecht geworden sei, fragte Alexander. Und dann holte er Atem und sagte zu Kirregaard: Er wäre ganz hingerissen von dem«Gleitflug», das Manuskript sei ganz ausgezeichnet, gespenstisch! Selten habe er ein so schönes Manuskript gelesen! - Das versetzte Dr. Kirregaard in festliche Stimmung. Er rang die Hände, griff kurz entschlossen in den Schreibtischschrank links unten und holte ein Fläschchen heraus und zwei Gläser, und dann stießen sie an.
    Festtage des Lebens darf man nicht verstreichen lassen! Nie wieder würde ihm jemand sagen, daß sein Text gespenstisch sei! Frau Butt-Prömse und Herr Scharrenhejm hatten jedenfalls überhaupt nicht reagiert. … Und Schätzing? Vielleicht komme da ja noch was …
     
    Alexander sagte, ihm hätten bei der Lektüre des«Gleitflugs»die Haare zu Berge gestanden. Er sei immer wieder erstaunt, was Menschen aushalten können und stünden doch gesund vor einem. - Das zur Deckung zu bringen sei manchmal gar nicht einfach …«Kongruenz», dieses Wort fiel ihm ein, und damit war die Sache geritzt.
    Er überlege, sagte Kirregaard, ob er den Text auch Achilles zeige. Der Kritiker sei bereits vorgestern eingetroffen zu den«Deutschen Wochen», extra aus München angereist! Er werde von einer Fernsehstation zur anderen gereicht und stattete allen großen Zeitungen einen Besuch ab. Was meinte Alexander? Ja? Oder lieber nicht? Mache man damit alles kaputt?
    Ob Alexander sich auch bei allen großen Zeitungen gemeldet habe? Nein - habe er das verabsäumt?
     
    Alexander erfuhr, daß er zu morgen mittag beim deutschen Botschafter eingeladen sei, zusammen mit einem chilenischen Theatermann aus München, der Solo-Fagottistin Mechthild von Sautter und einem Staatssekretär aus dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, und natürlich mit Achilles.
    «Schätzing wird auch dabeisein. Der möchte Sie gern kennenlernen. »Er habe ihm ganz im Vertrauen gesagt:«Der Sowtschick ist ein großer Autor», seine Bücher hätten ihn auf der Reise begleitet:«Donnerwetter, das ist ja gut!»habe er gesagt. Er habe da nicht mithalten können, Sowtschick sei für ihn eine Vaterfigur.
     
    Morgen mittag also beim Botschafter und am Abend dann ein Podiumsgespräch zum Abschluß der«Deutschen Wochen», mit Achilles, Prack, Schätzing, Scharrenhejm und der Prömse. Wenn er wolle, könne er auch dazustoßen. Das Ganze werde vom Deutschen Fernsehen aufgezeichnet und später dann in der von Ewald Hoenisch moderierten Kultursendung«Szene»ausgestrahlt.
     
    Schätzing sei in schlechter Verfassung, habe ziemliche Schwierigkeiten mit seinem Bein. Auf der Reise habe es allerhand Ärger mit ihm gegeben.
    «Ich muß ja immer alles glattbügeln. - Glauben Sie mir, Herr Sowtschick, das ist in keiner Weise angenehm. An mir bleibt alles hängen.»Er säße ziemlich auf einem Pulverfaß.
    Und dann beugte er sich zu Sowtschick hinüber und flüsterte: Schätzing habe in San Francisco Antisemitisches von sich gegeben! Um Gottes willen! Es werde zwar allgemein behauptet, daß dort Juden den Ton angeben, nie zu deutschen Veranstaltungen gingen und Konzerte und Lesungen in den Zeitungen totschwiegen, aber so was spricht man doch nicht aus. Außerdem sei das doch verständlich!
    Von anderen skandalösen Geschichten, die sich Schätzing geleistet hatte, wolle er gar nicht reden, die seien schließlich jedermanns Privatangelegenheit …
    «Wenn Sie mich fragen: Der Mann hat Krebs, der macht’s nicht mehr lange …»
     
    Er schrieb auf einen Zettel, wann Alexander sich beim Botschafter einfinden müsse, Uhrzeit und so weiter. Er glaube, er könne so hingehen, wie er jetzt sei, aber vielleicht vorher noch mal rasch zum Friseur? Auf so was achte man hier sehr.
     
    Ihm wurde die geblümte Kulturtasche überreicht, die Alexander vier Wochen zuvor in den Papierkorb geworfen hatte. Diese Tasche habe er damals wohl stehenlassen? Er solle mal nachsehen, ob noch alles vorhanden ist.
    Und hier noch ein Brief der Frau Samson, die habe ihnen mit ihren dauernden Anrufen ja jeden Nerv getötet. Eigentlich gehe so was nicht.
    Er solle eine gute Zeit haben, wurde ihm gesagt.
    Alexander stellte seine«Äolen»wieder zurück ins Regal, das Buch hatte niemand

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