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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gerahmte Fotos hingen: Kranstöver mit Andy Warhol und anderen Berühmheiten, Arm in Arm, Paul Newman, Esther Cowful, alle lachend und mehr oder minder geliftet, quer die Namenszüge, mal schräg geneigt, mal steil empor.
     
    Am Ende des alle Maßstäbe sprengenden«livingrooms»stand auf einem großen weißen Teppich ein weißer Flügel, und darüber hing als ein besonderes Stück ein echter Botero: ein dickes Kind in duffen Farben.
    Donnerwetter!
    Alexander setzte sich an den Flügel, wie einer, der das Instrument nur mal eben ausprobieren will, und knallte den Prokofjew hin, mit dem er in Sassenholz seine Gäste gern verbüffte, und zwar fast fehlerfrei … Es war, als ob er seinen Besuch durch einen grandiosen Tusch einleiten wollte. Die Eheleute tauschten stille Blicke aus, es war eben doch gut, daß man sich das teure Ding geleistet hatte …
     
    Dann setzte er die Besichtigung der Wohnung fort: Er bewunderte alles, was hier stand und hing, Geist zu Geist, Kultur zu Kultur, die Bilder, ja, die besonderen Lichtschalter, mit denen man spezielle Neonlampen anknipsen konnte an sehr speziellen Stellen! Die Schalter kamen ihm bemerkenswert vor. Waren sie gar aus purem Gold? Er war etwas benommen vor diesem Luxus, fast«platt», daß so etwas möglich ist, mitten in einer Stadt, in der alte Frauen Flaschenkästen stapelten: Der Mann mußte ja steinreich sein …«Und unsereiner vergräbt sich auf dem Lande …»
    Aber er gab sich freimütig, immerhin hatte er diverse Bücher geschrieben, die vom Publikum angenommen worden waren. Ene Milljon hett hei all full …, wie die Bauern sagten, und er hatte große Lust, von seinem Schwimmgang zu berichten, daß er normale Swimmingpools zum Kotzen finde. Fotos hatte er leider nicht dabei. Aber vielleicht hatte Kranstöver ja ein Exemplar der Zeitschrift Form zur Hand? Darin war das alles abgebildet.
     
    Sowtschick kramte das hölzerne Herz hervor und reichte es der jungen Frau, als Dank für die Einladung. Sie mochte es für einen Lebkuchen halten und sich darüber wundern, daß er es aus der Tasche zog, aber dann sah sie, daß es sich um etwas Folkloristisches handelte, und freute sich. Der blaue Heilige - er mochte dahingestellt bleiben, dergleichen kannte man zur Genüge, aber dieses herzige Herz? Auch der Mann ließ es sich zeigen, und er fuhr mit dem Daumennagel die Maserung entlang. Die Verwitterungsspuren waren jedenfalls echt.
     
    Durch ein breites Panoramafenster bequem zu besichtigen lag das, was Alexander in Chicagos Sechsundneunzigstem-Stockwerk-Restaurant nicht zu sehen gekriegt hatte, die ganze Stadt, mit den Skyscrapers, wie übergroße Stelen eines Friedhofs, großen und kleineren, nicht weniger großen, zauberhaft und in allen Farben aus sich selbst heraus beleuchtet, mal alles an, mal alles aus, mal über die Fassaden huschend, von einem schweren Schneeflockenvorhang gleichmütig verrieselt, I’m dreaming of a white Christmas … Geburt und Grab, ein ewiges Meer.
    Im Central Park wurde vielleicht gerade jemand vergewaltigt, das war zu denken. Hilfeschreie drangen jedoch keine herauf bis zum Appartement Nr. 56.
     
    Die drei traten, den Drink in der Hand, an dieses Fenster: die hauchdünne Glaswand zwischen sich und dem Abgrund. Vielleicht richtete in diesem Augenblick jemand irgendwo das Zielfernrohr seines Gewehrs auf sie: Was sie da zu stehen haben, ein Cocktail für eine Leiche? Gucken da irgendwie aus dem Fenster? Waren noch alte Rechnungen zu begleichen?
     
    Während Sowtschick hinausblickte und hinunter, ob er tief unten in der Straße neben dem gleichmäßig fließenden Strom der Autos vielleicht sogar Menschen erkennen kann, Verheiratete, Geschiedene, Alte und Junge?, wechselte Kranstöver ein paar geflüsterte Worte mit seiner Frau. Er hatte irgendwas gedeichselt, das war daraus zu entnehmen, die schnurrbärtigen Männer mit der Persianermütze hatten damit zu tun, die Alexander im Foyer begegnet waren. Es sei alles in bester Ordnung, kein Grund zur Besorgnis! Das Wispern der beiden dauerte länger als schicklich, und deshalb bat Alexander auch darum, sich die Hände mal eben waschen zu dürfen, und er hatte Gelegenheit, in aller Ruhe auch diesen Ort zu besichtigen: Hier wackelte die Kloschüssel keineswegs. Die Kabine war in Tabakbraun und Gold gehalten, und an der Wand hingen drei winzige Radierungen von Callot, Darstellungen von Martern schlimmster Sorte!
     
    Als er zurückkehrte, erwarteten ihn die Eheleute bereits. Kranstöver hatte schon

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