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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Wand festzuhalten?
     
    Vielleicht doch lieber nicht aufbrechen«zu fernen Gestaden», das endlose Fliegen, Fahren, Sitzen, Warten … Außerdem: ein Romanmanuskript auf dem Schreibtisch, für das schon Vorschüsse kassiert worden waren.«Karneval über Lethe», der Roman, der wehmütige Abgesang an sein Publikum: Der Wagen rollt aus und kommt rüttelnd zum Stillstand. Es kam nicht recht vom Fleck, das Monstrum … Vielleicht würde eine längere Pause das so überaus empfindliche Gebilde für immer zerstören. Aber vielleicht würde die Pause der Arbeit ja auch zugute kommen. Abstand gewinnen, und nach der Rückkehr mit frischer Kraft und neuen Ideen das Werk vollenden, das leider schon angekündigt worden war in einer literarischen Wochenzeitung, obwohl doch erst ein paar Seiten vorlagen: Nun konnte man nicht mehr zurück.
     
    Für eine Amerikareise sprach der Hinweis, der dann später der Vita würde hinzugefügt werden können:«1989 im Rahmen der ‹Deutschen Wochen› eine zweite ausgedehnte Studienreise nach Amerika … Gastdozent an verschiedenen Universitäten …»
    Die Einladung hatte unanständig lange auf sich warten lassen, das war nicht zu leugnen.
     
    Also annehmen die Einladung, Luft schöpfen und sich in der Neuen Welt umsehen und - warum nicht, hinterher, wie all die andern es taten - Reiseskizzen veröffentlichen, ganz unangestrengt Aufgesammeltes, Gelegenheitsnotizen und Beobachtungen.
    «Unruhig in unruhiger Zeit», als Titel gar nicht schlecht.
    «Highways - Unruhig in unruhiger Zeit»? Oder«Ruhig in unruhiger Zeit»? - Auf alle Fälle«Highways», das war schon mal festzuhalten.
     
    Sowtschick nahm sich den Iro-Weltatlas vor, den von 1968, schlug die Seite sechs auf,«Nordamerika und Kanada», und fuhr mit dem Zeigefinger von einer Stadt zur nächsten, in derselben Reihenfolge, wie er die Stationen dann abfahren würde, eine nach der andern. Stadt, Land, Fluß, Berge. Die Rocky Mountains hinauf-hinunter - Bären an den Rastplätzen -, auf staubender Piste Kaktuswüsten durchrasen und über das breite, symphonische Geschlängel der Riesenflüsse hinwegziehen.
     
    Eine Tournee durch fünfundzwanzig Städte: deutsche Kultur verbreiten, wo immer es gewünscht wird: in Washington ein Stehempfang, Lesungen vor deutschen Vereinen. Und im Mittleren Westen im Kreise properer College-Studentinnen Vorträge halten: Auf dem Rasen sitzen sie, die Sportsgeschöpfe, um ihn herum gruppiert, gut genährt und sauber, den Rock weit um sich gebreitet, und er selbst lehnt an einer Zeder, in weißem Anzug, mit weißen Schuhen, über seine Bücher hinwegsinnend, die es ihnen nahezubringen gälte. Ein Bändchen Heine-Gedichte gut sichtbar in der Rocktasche stecken haben für alle Fälle, ein Eckchen hervorzupfen das Dings, damit’s jeder sieht.
    Heine kann nie schaden.
    Heine oder Tucholsky. Kleist!
     
    Den Feuilletons war zu entnehmen, daß in Amerika vorzugsweise Dichter aus Sachsen und Thüringen zu Worte kamen. Wie es schien, wurden in den von Kapitalisten ausgehaltenen Universitäten der Vereinigten Staaten die politisch Verblendeten der linken Szene besonders geschätzt. Von denen ging für die freie Welt ein Faszinosum aus, das ein in die Jahre gekommener Schriftsteller aus dem Landkreis Kreuzthal nicht bieten konnte. Neuerdings grasten die Leute mit dem blauen Paß auch in Bayern und in Westfalen Universitäten und Buchhandlungen ab, und Preise kriegten sie die schwere Menge.
     
    Eine Einladung nach Borneo oder Brasilien würde Alexander«vorwändig»abgelehnt haben. Das feuchtheiße Klima war nicht seine Sache. Auch Japan nicht: Straßenschilder nicht lesen können und die Eßgewohnheiten dieser Leute! Im Schneidersitz rohen Fisch zu sich nehmen, der womöglich giftig ist?
    Nein, da waren die freundlichen, gastfreien Amerikaner eine ganz andere Sache, verwandte Naturen, mit denen man doch so oder so in einem Boot saß.
    Die Amerikaner hatten zwar Bombenteppiche über Barockkirchen abgeladen, dann aber Carepakete geschickt. Sie hatten sich Jahr um Jahr mit der Umerziehung des schuldig gewordenen deutschen Volkes abgemüht, um es in die Völkerfamilie zurückzuführen - nun würde zu demonstrieren sein, was aus dem Kindlein geworden ist.
     
    Als Alexander beim wiederholten Lesen des Briefes feststellte, daß auch ein Abstecher nach Kanada geplant war, gab es für ihn kein Halten mehr. Kanada! Mit hüfthohen Stiefeln im Wasser stehen und Lachse angeln.
    Er wählte die Nummer des Instituts und

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