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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nagte.
     
    Marianne erzählte von dem orientalischen Teppichhändler, daß der mit einer Deutschen verheiratet sei und daß dessen Schwiegervater alle Bücher Sowtschicks gelesen habe und ganz wild darauf sei, ihn kennenzulernen. Sie dachte bereits an eine andere Brücke, ein zauberhaftes Stück, die sie sich hatte zurücklegen lassen, daß sie die vielleicht während seiner Abwesenheit auch noch kaufen würde und ihn, wenn er dann zurückkehrt, damit überraschen.
     
    Sie dachte auch daran, daß sich die Schwägerin in Peine furchtbar ärgerte über die Teppiche, die an sich, das war klar, allesamt nicht viel wert waren, wie viel sie auch gekostet haben mochten, auf denen man sich jedoch hätte kuscheln können, wenn man sich hätte kuscheln wollen.
    Einziges Haar in der Suppe, das sah Marianne über die Kaffeetasse hinweg, war der Farbwechsel am unteren Ende des Teppichs, da war der Knüpferin wohl die Wolle ausgegangen. Sie hatte mit was anderem weitergemacht, und das haute irgendwie nicht hin. Vielleicht hatte es sich um eine ausgebeutete Knüpferin gehandelt, aus dem feuchten Inneren des Landes herbeigelockt, in eine Arbeitskaserne gepfercht zusammen mit vielen anderen Frauen und auch Kindern, dicht an dicht, Stunde um Stunde. Vielleicht war sie ja an Entkräftung zugrunde gegangen, als sie an diese Stelle kam. War vor dem Gerät zusammengesunken, vor Hunger und Erschöpfung über dem halbfertigen Gewirk zusammengesackt, mit wunden Fingern und entzündeten
    Augen, und dort verröchelt. Die gelben Hunde der Straße kommen herbei und nagen an ihren dürren Armen. - Man könnte die griechische Bodenvase darauf plazieren, das bot sich an, dann fiele das nicht so auf. Eine interessante Wechselwirkung: Kultur auf Kultur?
     
    Auch Alexander, der seiner Frau den Brief des Instituts vorgelesen hatte, fand ein Haar in der Suppe: ein Vortrag, den er in Los Angeles würde halten müssen anläßlich eines Übersetzerkongresses! Daß der extra honoriert werden sollte, half ihm ja auch nicht weiter. Vorträge zu halten, das war nicht seine Sache. Er war zum Geschichtenerzählen geboren, nicht zum Zerpflücken theoretischer Sachverhalte. Einen Vortrag auszuarbeiten, bedeutete harte Arbeit, das Schreiben von Geschichten hingegen war in der Regel heiterer Zeitvertreib, mit dem sich außerdem sehr viel mehr Geld verdienen ließ als mit Analysen oder ähnlichem, von denen kein Mensch was wissen will. Geld, das sehr nötig war für die diversen Hobbys der Eheleute.

2
    Die nächsten Tage gingen damit hin, daß man dies und das überlegte, vier Wochen USA? Da konnte viel passieren. Koffer wurden angeschafft, französische Hartschalendinger, und die wurden probeweise mal so und mal so gepackt. Marianne kaufte einen neuen«Kulturbeutel»für Alexander aus gesteppter Seide mit allerlei Blumen drauf, spezielle Fächer für Medizinen, Rasierapparat und Pinsel (der immer schön austrocknen muß, sonst riecht er faulig). Verschiedene Scheren und Nähzeug, wenn mal ein Knopf abspringt.
    Chicago - wohnte da nicht ein Onkel? Die Eheleute forschten im Adressenkalender nach, ob nicht ein Onkel in Chicago wohnt.
     
    Alexander betrachtete den«Kulturbeutel»mit Mißbehagen. Blumen? Und nach Bordellart gesteppt? Was hatte so ein Ding denn mit Kultur zu tun? - Aber er behielt seine Kritik für sich.«Necessaire». Warum nicht«Necessaire»sagen?
    Die Schwägerin in Peine wurde angerufen, erst mal irgendwie nebenbei, wie’s ihr geht und wie’s den Kindern geht und dann, als der Chicago-Onkel dingfest gemacht worden war: daß Alexander nach Nordamerika fliegen müsse , beruflich, worüber er kreuzunglücklich sei. - Die Schwägerin ärgerte sich furchtbar darüber, denn ihr Mann war nur ab und zu unterwegs, zuweilen hatte er im Schwarzwald zu tun, das war aber auch alles. Daß man Jahr für Jahr nach Jugoslawien fuhr, war ja auch nicht gerade glanzvoll.
     
    Kaum lösbar war die Frage, ob man den Tweedmantel mitnehmen sollte nach drüben, Kanada? Es konnte doch sein, daß dort klirrende Kälte herrschte. Aber in New York dann womöglich ungeahnte Hitzegrade! Da schleppte man sich dann mit dem Ding in den glühendheißen Straßen ab, schweißüberströmt, und die Leute gucken einem hinterher.
     
    Engelbert von Dornhagen wurde konsultiert, der alte Freund, in Hamburg. Er freute sich von Herzen über das unglaubliche Glück seines Freundes, Amerika, wer hätte das gedacht! Im Alsterpavillon saßen sie zusammen und rührten in der Kaffeetasse.

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