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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Dornhagen zog es mehr nach Frankreich. Jahr für Jahr fuhr er dorthin, Baguette und Rotwein, in den Archiven nachforschen: Napoleon! - Die Leute dort kannten ihn schon und behandelten ihn als einen der Ihren. Daß die Amerikaner das ehemals französische Besitztum Louisiana 1803 für einen Pappenstiel gekauft hatten, ärgerte ihn, obwohl ihn das doch gar nichts anging. -«Schlepp dich bloß nicht mit Koffern ab!»sagte er.«Eine Reisetasche genügt, da tust du das Nötigste hinein. Und was dir fehlt, das kaufst du dir.»Man hatte ihm gerade sechs Zähne gezogen, das machte die Verständigung problematisch. Es gäbe in Amerika billige Baumwollpflückerhemden, wahnsinnig praktisch, drei, vier Dollar, und wenn man sie nicht mehr braucht, läßt man sie einfach im Hotel liegen … Es wäre schön, wenn Alexander ihm ein paar davon mitbrächte, er selbst würde sie zwar nicht tragen, aber Gerti, seine Frau, bei der Gartenarbeit.
    Anstelle eines Mantels empfahl er eine Mehrzweckjacke, einen Parka, wahnsinnig praktisch und unverwüstlich.
    Schwer verständlich waren die Ratschläge, die aus dem Munde des versehrten Freundes zu Alexander drangen, aber sie hatten Hand und Fuß.
    «Adieu», sagten sie und drückten einander fest die Hand. Würde man sich denn niemals wiedersehen?
     
    Also die französischen Schalenkoffer auf den Boden tragen und zwei federleichte Reißverschlußtaschen kaufen, eine größere und eine kleinere (die größere hatte sogar Rollen unten dran). Auch eine Mehrzweckjacke kaufte Alexander, an der allerhand Schnüre herunterhingen, mit vielen Taschen, schräg und grade, mit Klettverschluß und hinten eine Kapuze nach Art der Wichtelzwerge. Quer über dem Gesäß sogar ein Schlitz, in den man einen ausgewachsenen Taschenschirm schieben konnte! Die Frage stellte sich, wieso man nicht schon längst eine solche Jacke angeschafft hatte und eine dieser praktischen Reisetaschen, statt sich mit Koffern abzuplagen, an deren Verschluß einem die Fingernägel umglippten. Im übrigen: Am besten mal zum Flughafen fahren und gucken, womit andere Leute auf Reisen gehen. Vielleicht Reisetasche und Koffer? Auf gar keinen Fall einen Hut aufsetzen, Hüte sind auf Reisen ein Problem. Deshalb suchte sich Alexander in einem Hutgeschäft eine Prinz-Heinrich-Mütze aus für sein schütteres Haar, die er vor dem Spiegel mal nach links und mal nach rechts aufs Ohr schob und sich dann von der darüber herzlich lachenden Verkäuferin einpacken ließ.«Arbeiten Sie im Freien?»fragte sie, worüber er seinerseits lachen mußte.
    «Das fehlte noch!»sagte er laut, als er den Laden verließ.«Das fehlte noch.»
     
    Engelbert von Dornhagen hatte ihm noch einen weiteren Tip gegeben: Das Testament machen, und das hatte man ja schon immer vorgehabt, die Einladung nach Amerika war nun der letzte Anstoß. Den Kindern die Verteilung der einzelnen Antiquitäten vorgeben, es nicht darauf ankommen lassen, daß sie guten Willens sind. Beide Kinder eigentlich gutartig, Schitti und Klößchen, aber bei einer solchen Gelegenheit wahrscheinlich eben doch anfällig. Wenn man die Gelegenheit dazu hat, kann man den Rachen nicht vollkriegen. Königshäuser hatten sich wegen Erbschaften schon in den Haaren gelegen. Ein Zwist würde sich erheben, der die Erinnerung an die Eltern vergiftete.
    Eines stand von vornherein fest: Soviel auch übrig sein würde: bloß niemandem etwas stiften! Von so was hat man nur Nackenschläge, und außerdem versickert das dann nach einiger Zeit. Steht in allen Zeitungen, daß man was stiftet, aber dann versickert das. Oder es werden Neigungen von Leuten davon finanziert, die überhaupt nicht auf der eigenen Linie liegen, die den Stifter zeitlebens insgeheim einen Tölpel nennen oder einen Dünnbrettbohrer. Dann schon lieber Teppiche kaufen oder meinetwegen Beduinenschmuck. Der half jedenfalls gegen den bösen Blick.
     
    Dieser Meinung war auch Dr. Gildemeister, der Anwalt, der sich schon in anderen Fällen bewährt hatte. In seinem Privatbüro hingen gerahmte Fotos von Prominenten, die er erfolgreich vertreten hatte. Ob diese Leute auch alle vor dem Schreibtisch gesessen hatten?
    Auch in der Dünnbrettbohrer-Angelegenheit würde sich Dr. Gildemeister bewähren. Er schob die Akte des Doppelmörders zur Seite, die auf seinem Schreibtisch lag, und machte für den Nachlaß sofort geeignete Vorschläge. Sie waren kurz und leicht zu kapieren, kurz , weil er sich nämlich entschlossen hatte, das Pauschaltestamentsmodell zu

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