Letzte Reise
ihr vertraute und sie höher einschätzte als seine eigenen Mitarbeiter. Sie bekam in dem vollgestopften Laden einen kleinen Schreibtisch zugewiesen und erfreute sich an den geheimnisvollen Waren: Ferngläser in Lederfutteralen, Sextanten, Barometer, eine reiche Auswahl an Globen in verschiedenen Formaten und die furchterregenden Koffer für die Schiffsärzte. Dazwischen saß sie, Elizabeth Batts, und führte Buch über die ein- und ausgehenden Gegenstände. Meistens hatte sie den Kopf über ihre Papiere gebeugt und lauschte dabei der munteren Stimme ihres Onkels. Sie versuchte, Herkunft und Charakter der Kunden anhand ihrer Stimmen einzuschätzen. Manchmal schaute sie auf, neugierig geworden durch ein ungebräuchliches Wort oder eine länger anhaltende Stille. So war ihr Blick auf James gefallen.
Er wollte einen Quadranten haben, ein kompliziertes Instrument aus schimmerndem Messing mit allerlei Schrauben und verschiebbaren Zeigern. Onkel Charles ging ins Magazin und kam mit einem Stapel Kartons zurück. Den ganzen Morgen lang sah er die Instrumente zusammen mit dem hochgewachsenen, ernsten Mann durch, der aufrecht vor dem Ladentisch stand. Die nicht in Frage kommenden Quadranten rieb er mit einem Flanelltuch ab und packte sie wieder ein. Elizabeth hatte den kritischen Kunden hinter ihren herabhängenden Haaren hervor beobachtet, bis er, ohne einen Kauf getätigt zu haben, den Laden verließ. Die Kartons wurden ins Magazin zurückgebracht, und der Laden sah aus, als wäre nichts geschehen. Onkel Charles pfiff ein Liedchen, Elizabeth schrieb errötend ihre Zahlen, gleich würden sie essen gehen.
Eine Blitzentscheidung sah ihr ähnlich. Sie wußte immer sofort, welches Kleid sie wollte, sie hatte ohne Zögern im Laden ihres Onkels zu arbeiten begonnen, und sie erkannte ihren zukünftigen Ehemann, als er in ihr Leben trat. Ein Unvermögen zu zweifeln oder die Fähigkeit, treffsicher zu beurteilen, was gut für sie war? Sie war aufgestanden, hatte energisch die Falten in ihrem Rock glattgestrichen, sich mit den Fingern auf die spitzen Hüftknochen getrommelt und war zu ihrem Onkel gegangen, um ihn über den beeindruckenden Kunden auszuhorchen, der nichts gekauft hatte. Drei Monate später heirateten sie.
»Er weiß genau, was er haben will«, sagte Onkel Charles, »und wenn die Qualität nicht einwandfrei ist, will er es nicht. Finde ich nicht schlimm, ich mag Kunden mit Sachverstand. Er kommt wieder, ich mache eine Bestellung für ihn. Ja, Kind, den Langen wirst du hier schon wiedersehen.«
Es hatte ihr natürlich geschmeichelt, daß sie offenbar genau diejenige war, die er haben wollte. Er war dreizehn Jahre älter als sie. Egal, sie war es gewohnt, unter Erwachsenen zu verkehren, da fühlte sie sich wohler als unter Gleichaltrigen. Er war zielstrebig, es schien, als wisse er, womit er sein Leben ausfüllen wollte, und alles, was ihm dabei im Wege stand, würde er zwar wahrnehmen und studieren, aber letztlich nicht an sich heranlassen. Diese Haltung hatte sie angezogen. Zweifel kamen ihr gar nicht in den Sinn. Er ging auf alle ihre Fragen ein und erweckte nicht den Eindruck, als brauche er sie, wie ihr Stiefvater und ihr Onkel sie brauchten – um die Dinge zu tun, zu denen sie selbst keine Lust hatten.
James hatte sie wie eine Ebenbürtige in seine Pläne einbezogen, die schon bald zu ihren gemeinsamen Plänen wurden. Ihre Verbundenheit stand ihr deutlich vor Augen, doch was vorausgegangen war, konnte sie sich weniger gut in Erinnerung rufen. Er hatte auf sie gewartet. Er stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite, als sie aus der Tür trat. Es wurde bereits dunkel, und ihr Rücken schmerzte vom Sitzen. Er sah sie an. Sie überquerte die Straße und stellte sich neben ihn. Es war Flut, der Fluß schwappte weit oben gegen die Kaimauer. Gemeinsam blickten sie auf das graue Wasser. Sie wußte, daß sie ein Stück gegangen waren, doch wer hatte den Anfang gemacht, wer hatte bestimmt, wohin? Was war gesagt worden? Er hatte sie mit einem langen Umweg nach Hause gebracht. Er hatte gefragt, ob sie am nächsten Morgen wieder im Laden sein werde und ob der bestellte Quadrant schon gekommen sei. Sie hatte ihm nachgeschaut, als er ging, und sich über seinen entschlossenen, aber doch irgendwie anmutigen Gang gewundert.
Am nächsten Tag stand er wieder da. Nun folgten die Treffen Schlag auf Schlag, eine Wanderung, ein Vorstellungsbesuch bei ihrer Mutter, ihrem Stiefvater, sie hatte ihm gezeigt, wo die Schenke war, sie
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