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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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ungehobelter Klotz, doch seine Lehrer, Vorgesetzten und Kommandeure inspirierte James zu einer väterlichen, ermutigenden Haltung. Dieses Vermögen, anderswo zu bekommen, was zu Hause nicht vorhanden war, war eine Gabe. In jener schmutzigen Arbeiterwohnung in Yorkshire hatte er nichts verloren, und eine bewundernde Autorität nach der anderen hatte ihn zu sich geholt, bis er auf einer Werft in Whitby zu arbeiten begann. Von dort stürzte er sich aufs Meer, es war der Weg, den alle Küstenbewohner gingen, der einzige Weg. James hatte das freilich noch nicht genügt, dieses Hin- und Herfahren nach Danzig und Medemblik, Oslo und Ostende. Auf der anderen Seite von England lag ein Ozean und jenseits dieses Ozeans ein anderer Kontinent. Er hatte sich zur Marine gemeldet.
    Zehn Jahre später, in dem Winter nach seiner ersten Weltreise, waren sie gemeinsam in den Norden gefahren, um seinen Vater, seine Schwester und die Männer zu besuchen, die er seine Freunde von früher nannte. Für Elizabeth ein Schrecknis sondergleichen. Die Reise in der kalten, stinkenden Kutsche war ein Graus gewesen, und sie hatte sich in dem beengten Haus von James' Schwester Margaret nicht wohl gefühlt. Der Alte hatte in seinem Sessel am Feuer gehockt und sie ununterbrochen angestarrt. Er reagierte nicht, wenn sie ihn ansprach, stierte immer nur weiter. Sie wußte nicht, wie sie ihn nennen sollte. Herr Cook? Vater? Sie schwieg.
    James hatte sich ein Pferd geborgt, um nach Whitby zu reiten. Sie war allein. Sie vermißte die Kinder. Frances paßte auf sie auf, da mußte sie sich keine Sorgen machen, doch sie vermißte sie. Margaret war mit großen  Schritten durchs Zimmer gelaufen, hatte dem Alten ein Glas gebracht, das sie mit einem Knall auf seine Armlehne stellte, und war danach stehen geblieben. Warum setzt sie sich nicht, hatte Elizabeth gedacht, sie und der alte Mann starren nur, es ist lähmend, ich will das nicht, ich will fort. Doch die grobknochige Frau – James im Kleid, James mit gefältelter Haube auf dem Kopf behielt ihre Position bei und musterte Elizabeth.
    »London, he«, sagte sie. Elizabeth mußte sich anstrengen, um den Dialekt der Frau zu verstehen. »Kinderchen nicht dabei, das ist nicht nett für uns. Haben doch einen Großvater, oder? Ja, James weiß, was er macht. Von jeher schon. Dunkel hier, he? Licht gibt's bei uns nicht, das brauchen wir nicht. Bestimmt kalt in dem Kleid, he? Und kalt im Bett? So ist das hier. London, das ist ein Lichtermeer, sagen sie. Kriegt Pa das noch mal zu sehen? Oder ich? Hat James eine Laterne vor seinem Haus?«
    Elizabeth hatte sich keinen Rat gewußt. Sollte sie die Leute zu einem Besuch einladen? Sollte sie einen Vortrag über das Stadtleben halten? Dieses öde Landleben loben? Eine Gegenfrage. Interesse zeigen. Unwissenheit vortäuschen. Sie fragte ihre Schwägerin nach James' schulischer Laufbahn und bekam eine hämische Antwort. Lehrers Liebling sei er gewesen, Extraunterricht habe er bekommen, sein Schulgeld sei vom Gutsherrn bezahlt worden, der sich auch jedes Trimester nach seinen Fortschritten erkundigt habe. Sie und ihre Schwester seien in die Küche gejagt worden, sobald sie mit dem Kopf über die Spüle reichten, für sie habe man kein Schulgeld bezahlt. Das seien übrigens alles Erzählungen, denn James sei schon aus dem Haus gewesen, als sie geboren wurde. Erzählungen, die sie sich immer wieder habe anhören müssen. Bis heute!
    Sie ist jünger als ich, hatte Elizabeth gedacht, auch wenn sie ein verwittertes Gesicht und rauhe Hände hat, sie ist noch jung. Die Frau hatte die Arme verschränkt und stand breitbeinig da. Ihre rohe Stimme donnerte über Elizabeth hinweg und verhinderte die genaue Wahrnehmung des Inhalts der Botschaft. Der Ton klang nach Vorwurf und Mißgunst. Aber Margaret hat James nie gekannt, er ist eine Märchenfigur, die zufällig mit ihr verwandt ist, ein Prinz, der nichts von ihr wissen will und dieses dreckige Dorf verlassen hat. Jetzt wohnt er mit seiner Städterin für zehn Tage in ihrem Haus, sie müßte sich freuen, doch sie empfindet etwas anderes.
    Wir wären besser zu Hause geblieben, fand Elizabeth. Sie hatte kalte Füße, traute sich aber nicht, um ein Kohlenbecken zu bitten oder ihren Stuhl näher an den Kamin zu rücken. Wenn James doch zurückkäme. Der alte Mann spie ins Feuer, wandte das Gesicht aber sogleich wieder ihr zu, ohne etwas zu sagen.
    Mit einem Mal hatte sie restlos genug gehabt von diesen mürrischen Menschen, die sich alles

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