Letzte Worte
ein kräftiger, schroffer Mann in voller Jagdausrüstung gewesen, von dem sie nie erwartet hätte, dass er ein Wort wie » schwammig « überhaupt in den Mund nehmen würde. Er hatte mit ihr geflirtet, und sie hatte zurückgeflirtet, und als er ging, gab er ihr bei seiner Rechnung von zehn Dollar ein Trinkgeld von fünfzig Cent. Er hatte ihr tatsächlich zugezwinkert, als er zur Tür hinausging, so als hätte er ihr einen Gefallen getan.
Was für ein Leben wollte Allison für sich? Ein Leben, wie es in ihrem Blut geschrieben stand. Ihre Mutter hatte so eines gelebt. Ihre Großmutter hatte es gelebt. Ihre Tante Sheila hatte es gelebt, bis sie eine Schrotflinte auf ihren Onkel Boyd richtete und ihm damit beinahe den Kopf abgeschossen hätte. Alle drei Spooner-Frauen hatten an dem einen oder dem anderen Punkt alles für einen wertlosen Mann weggeworfen.
Allison hatte es bei ihrer Mutter so oft miterlebt, dass sie zu der Zeit, als Judy Spooner zum letzten Mal im Krankenhaus war, ihr ganzes Inneres zerfressen vom Krebs, über nichts anderes mehr nachdenken konnte als über die Verwüstungen im Leben ihrer Mutter. Sie sah sogar verwüstet aus. Sie war erst achtunddreißig Jahre alt, doch ihre Haare wurden bereits schütter und grau. Ihre Haut war stumpf. Ihre Hände waren wie Klauen nach den Jahren der Arbeit in der Reifenfabrik– die Reifen vom Band nehmen, den Druck prüfen und sie wieder aufs Band legen, dann den nächsten Reifen und den nächsten und den nächsten, zweihundert pro Tag, bis jedes Gelenk in ihrem Körper schmerzte, wenn sie abends ins Bett kroch. Achtunddreißig Jahre alt, und der Krebs war ihr willkommen. Die Erlösung war ihr willkommen.
Das waren so ziemlich die letzten Worte, die Judy zu Allison gesagt hatte, dass sie froh sei zu sterben, froh, dass sie nicht mehr allein sein müsse. Judy Spooner glaubte an den Himmel und die Erlösung. Sie glaubte, dass eines Tages goldene Straßen und prächtige Häuser die Kieseinfahrt und den Wohnwagen im Trailer-Park ihres irdischen Lebens ersetzen würden. Allison glaubte nur, dass sie ihrer Mutter nie genug gewesen war. Judys Glas war immer halb leer, und all die Liebe, die Allison im Lauf der Jahre in ihre Mutter gegossen hatte, hatte sie nie ganz ausgefüllt.
Judy war viel zu tief im Dreck versunken gewesen. Der Dreck eines aussichtlosen Jobs. Der Dreck eines wertlosen Mannes nach dem anderen. Der Dreck eines Babys, das sie daran hinderte weiterzukommen.
Das College sollte Allisons Rettung sein. Sie war gut in den wissenschaftlichen Fächern. Wenn man ihre Familie betrachtete, schien das unverständlich, aber irgendwie begriff sie, wie Chemikalien funktionierten. Sie verstand die Grundlagen der Synthese von Makromolekülen. Die Kenntnis der synthetischen Polymere flog ihr praktisch zu. Und das Wichtigste: Sie konnte lernen. Sie wusste, dass es irgendwo auf der Welt ein Buch mit einer Antwort darin gab, und der beste Weg, diese Antwort zu finden, war, jedes Buch zu lesen, das sie in die Finger bekam.
Im Abschlussjahr der Highschool hatte sie es geschafft, sich von den Jungs und der Sauferei und dem Meth fernzuhalten, die Dinge, die so ziemlich jedes Mädchen ihres Alters in ihrer kleinen Heimatstadt Elba, Alabama, ruiniert hatten. Sie wollte nicht enden wie eines dieser seelenlosen, ausgelaugten Mädchen, die Nachtschicht arbeiteten und Kools rauchten, weil sie elegant aussehen wollten. Sie wollte nicht enden mit drei Kindern von drei verschiedenen Männern, bevor sie überhaupt dreißig Jahre alt wurde. Sie wollte nicht jeden Morgen aufwachen und die Augen nicht öffnen können, weil irgendein Mann sie in der Nacht zuvor verprügelt hatte. Sie wollte nicht tot und allein in einem Krankenhausbett enden wie ihre Mutter.
Zumindest hatte sie sich das so vorgestellt, als sie Elba vor drei Jahren verließ. Mr Mayweather, ihr Naturwissenschaftslehrer, hatte alle Fäden gezogen, die er konnte, damit sie in einem guten College aufgenommen wurde. Er wollte, dass sie so weit wie möglich wegging von Elba. Er wollte, dass sie eine Zukunft hatte.
Grant Tech befand sich in Georgia, und es war, was die Entfernung anging, nicht so weit weg, wie es gefühlsmäßig weit weg war. Das College war riesig im Vergleich zu ihrer Highschool, die eine Abschlussklasse von neunundzwanzig Schülern hatte.
Allison hatte die erste Woche auf dem Campus mit der Frage zugebracht, wie es möglich war, sich in einen Ort zu verlieben. Ihre Klassen waren voll mit Jugendlichen, die mit
Weitere Kostenlose Bücher