Letzte Worte
überhaupt möglich war. Er schnüffelte so viel Lack, dass seine Nase immer eine andere Farbe hatte, wenn man ihn sah. Er rauchte Crystal. Er bestahl seine Mama. Als Letztes hatte Allison gehört, dass er im Gefängnis war, weil er versucht hatte, einen Schnapsladen mit einer Wasserpistole auszurauben. Als die Polizei kam, hatte ihm der Verkäufer bereits einen Baseballschläger über den Schädel gezogen. Als Folge davon war Dillard noch blöder als zuvor, aber eine gute Gelegenheit hätte er sich trotzdem nicht entgehen lassen. Er hätte Allison mit beiden Händen einen kräftigen Schubs gegeben, sodass sie kopfüber ins Wasser stürzte, während er sein kleines Lachen von sich gab: » Ha-ha. « Unterdessen hätte sie mit den Armen um sich geschlagen und vergeblich gegen das Ertrinken angekämpft.
Wie lange würde es dauern, bis sie ohnmächtig würde? Wie lange würde Allison in Todesangst leben müssen, bevor sie stürbe? Sie schloss wieder die Augen und versuchte, sich vorzustellen, wie das Wasser sie umgab, sie schluckte. Es wäre so kalt, dass es sich anfangs warm anfühlen würde. Ohne Luft konnte man nicht lange überleben. Man wurde ohnmächtig. Vielleicht überkam einen Panik, die eine Art hysterischer Ohnmacht zur Folge hatte. Oder vielleicht fühlte man sich sehr lebendig– euphorisiert vom Adrenalin, wie ein Eichhörnchen in einer Papiertüte.
Hinter sich hörte sie einen Ast knacken. Allison drehte sich überrascht um.
» O Gott! « Allison rutschte wieder aus, doch diesmal stürzte sie wirklich. Sie fuchtelte mit den Armen. Ein Knie gab nach. Der Schmerz raubte ihr den Atem. Mit dem Gesicht klatschte sie in den Schlamm. Eine Hand packte sie am Hinterkopf, zwang sie, unten zu bleiben. Allison atmete die bittere Kälte der Erde, den nassen, triefenden Dreck.
Instinktiv wehrte sie sich, kämpfte gegen das Wasser an und gegen die Panik, die ihr Gehirn überflutete. Sie spürte, wie ihr ein Knie ins Kreuz gerammt wurde und sie auf der Erde festnagelte. Ein brennender Schmerz schoss ihr ins Genick. Allison schmeckte Blut. Das war nicht sie. Sie wollte leben. Sie musste leben. Sie öffnete den Mund, um es aus Leibeskräften aus sich herauszuschreien.
Doch dann– Dunkelheit.
MONTAG
1 . Kapitel
Z um Glück bedeutete das Winterwetter, dass die Leiche auf dem Grund des Sees gut erhalten sein würde, die Kälte am Ufer allerdings fuhr einem so in die Knochen, dass man Mühe hatte, sich zu erinnern, wie der August gewesen war. Die Sonne auf dem Gesicht. Der Schweiß, der einem den Rücken hinunterlief. Wie die Klimaanlage im Auto Nebel aus den Düsen blies, weil sie mit der Hitze nicht mehr mithalten konnte. Sosehr Lena sich auch zu erinnern versuchte, an diesem verregneten Novembermorgen wollten Gedanken an die Wärme einfach nicht kommen.
» Gefunden « , rief der Leiter des Tauchtrupps. Er dirigierte seine Männer vom Ufer aus, die Stimme gedämpft vom beständigen Rauschen des strömenden Regens. Als Lena die Hand hob, um zu winken, lief ihr Wasser in den Ärmel des dicken Parkas, den sie sich schnell übergeworfen hatte, als der Anruf sie um drei Uhr nachts erreichte. Es regnete nicht stark, aber unaufhörlich, trommelte beharrlich auf ihren Rücken, klatschte auf den Regenschirm, den sie auf der Schulter abstützte. Die Sicht betrug etwa zehn Meter. Alles dahinter war von einem dunstigen Nebel verhüllt. Sie schloss die Augen, dachte an ihr warmes Bett, den wärmeren Körper, der den ihren umschlungen hatte.
Das schrille Klingeln eines Telefons um drei Uhr in der Früh war nie ein gutes Geräusch, vor allem, wenn man Polizistin war. Mit pochendem Herzen war Lena aus dem Tiefschlaf aufgewacht, ihre Hand hatte automatisch nach dem Hörer gegriffen und ihn sich ans Ohr gedrückt. Sie war die ranghöchste Detective mit Rufbereitschaft, und deshalb musste sie ihrerseits überall in South Georgia andere Telefone klingeln lassen. Das ihres Vorgesetzten, das des Coroners, das der Feuerwehr und der Rettung, das des Georgia Bureau of Investigation, um die Agenten wissen zu lassen, dass man auf öffentlichem Grund eine Leiche gefunden hatte, das der Georgia Emergency Management Authority, der Behörde zur Koordinierung von Notfalleinsätzen, die eine Liste mit einsatzwilligen zivilen Freiwilligen führte, die bereit waren, auf kurzfristige Alarmierung hin nach einer Leiche zu suchen.
Nun waren sie alle hier am See versammelt, aber die Schlauen warteten in ihren Fahrzeugen, die Heizung auf höchste Stufe
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